Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
schlafwandelt. Wir müssen sie aufhalten!«
Herr Holmwood und ich eilten zusammen die Stufen hinauf, kamen schließlich oben an und sahen Lucy keine zwanzig Fuß entfernt
mit dem Rücken zu uns stehen. Wir liefen zu ihr hin. Sie begann zu lachen. Es war ein seltsamer, gespenstischer Laut, der
mir kalte Schauer über den Rücken rieseln ließ. Ich streckte die Hand aus, um Lucys Schulter zu berühren. Zu meinem Entsetzen
hatte sich ihre Miene, als sie sich zu uns umwandte, in eine wütende Dämonenfratze verwandelt. Ihre Augen waren blitzende
rote Kugeln, aus denen die Funken des Höllenfeuers zu sprühen schienen, und ihre Stirn war in grimmige Falten gelegt. Ihre
Hände glichen Klauen, und sie schlug wie wild nach uns und stieß ein wildes, teuflisches Zischen aus.
|148| Voller Entsetzen schrak ich aus dem Schlaf auf; ich hatte die Bettdecke fest umklammert und konnte gerade noch einen Schrei
unterdrücken. Oh, was für ein schrecklicher Traum! Warum quälte mich mein Unterbewusstsein mit einem so absurden, furchterregenden
Bild? Was um alles in der Welt konnte dies heraufbeschworen haben?
Selbst lange nach dem Erwachen vermochte ich den Albtraum nur mit Mühe aus meinem Kopf zu verbannen. Ich konnte den Gedanken
nicht loswerden, dass irgendetwas Schreckliches mit Lucy geschehen war. Am nächsten Morgen war ich entschlossen, wieder mit
ihr Verbindung aufzunehmen. Ich schrieb ihr einen langen Brief, in dem ich ihr von unserer Rückkehr nach Exeter berichtete
und ihr die neuesten Nachrichten mitteilte. Kaum hatte ich das Schreiben zur Post gegeben, da erreichte mich auch schon eines
von Lucy.
Erleichtert nahm ich den Umschlag an mich, lächelte über den Anblick von Lucys vertrauter Krakelschrift. Doch dann bemerkte
ich, dass der Brief bereits vor einem Monat von der Post abgestempelt war – wenige Tage nach meiner Abreise aus Whitby – und
dass er ursprünglich an mich in Budapest adressiert und mir dann von dort nachgesandt worden war. Ich nahm die beiden darin
enthaltenen Blätter heraus und las sie neugierig. Lucy schrieb, es ginge ihr wieder wunderbar, sie hätte »einen Bärenhunger«,
schliefe hervorragend und hätte das Nachtwandeln völlig aufgegeben. Arthur war gekommen. Sie ruderten, ritten und spielten
Tennis. Sogar ihrer Mutter gehe es scheinbar etwas besser.
Für kurze Zeit munterte mich der Brief auf, bis ich die Nachschrift las.
»P. P. S. Wir heiraten am 28. September.«
Ich schaute auf den Kalender. Heute war bereits der 18. September! Lucys Schreiben, rief ich mir in Erinnerung, war tatsächlich
sehr alt. Sollte Lucy wirklich schon in zehn Tagen heiraten? Wenn das so war, warum hatte ich dann noch keine Einladung erhalten?
Sie wusste doch, wie sie mich in Exeter |149| erreichen konnte. Wenn ich Lucys Ehrenjungfer sein sollte, dann hätte ich doch sicherlich inzwischen etwas von ihr hören müssen?
Sie musste mich mit den Einzelheiten der Zeremonie und des anschließenden Empfangs vertraut machen. Ich wusste, dass Lucy
und ihre Mutter geplant hatten, in der letzten Augustwoche in ihr Londoner Haus in Hillingham zurückzukehren. Waren sie vielleicht
jetzt gerade in London? Könnte es sein, dass Lucy wieder krank geworden war?
Am gleichen Abend ereignete sich ein schreckliches Unglück, das für einige Zeit alle Gedanken an Lucy und ihre Hochzeit aus
meinem Kopf verbannte.
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7
Es geschah alles so plötzlich. Kurz vor dem Abendessen beklagte sich Herr Hawkins über heftige Kopfschmerzen und bat, sich
zurückziehen zu dürfen. Jonathan und ich küssten ihn zur guten Nacht, und er ging zu Bett. Als mein Mann und ich uns später
unsererseits anschickten, schlafen zu gehen, hörten wir aus dem Zimmer von Herrn Hawkins einen lauten Schrei. Wir eilten auf
den Korridor und fanden dort das Hausmädchen, das in der Tür zu Herrn Hawkins’ Zimmer stand und weinte.
»Ich hab dem Herrn nur seine abendliche Medizin gebracht, wie immer, aber der arme alte Mann liegt da, kalt wie Eis, und will
einfach nicht aufwachen!«
Der Arzt meinte, es sei wahrscheinlich ein Blutgerinnsel im Gehirn gewesen, das zum sofortigen Tod geführt habe. Oh! So ein
freundlicher Herr, der von allen wegen seines gleichmütigen Temperaments und seiner Großzügigkeit geliebt wurde. Und jetzt
war er von uns gegangen! Herrn Hawkins’ unerwarteter Tod war ein schwerer Schlag für alle Mitglieder des Haushalts. Wir hörten
die Angestellten den ganzen nächsten Tag
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