Dracula, my love
erinnerte. Wir versuchten alles. Wir verordneten ihr Bettruhe, wir veranlassten eine Blutübertragung. Doch jedes Mal war sie am nächsten Morgen wieder nahezu blutleer. Es war schmerzlich anzusehen und anzuhören, wie schwer sie atmete. Dann entsprang eines Nachts ein Wolf aus dem Londoner Tiergarten ...“
„Ein Wolf!“
Er nickte feierlich. „Das Tier brach durch ein Fenster in ihr Schlafzimmer ein. Lucys Mutter, die neben ihr schlief, erlag daraufhin vor Schrecken einer Herzattacke.“
„Oh! Auf diese Weise ist also Frau Westenra gestorben? Wie furchtbar!“
„Es war in der Tat eine seltsame und tragische Begebenheit. Dass die Mutter ein Herzleiden hatte, wussten wir. Aber die Tochter ... Ich hatte gehofft, sie retten zu können. Trotz meiner verstärkten Bemühungen wurde jedoch Fräulein Lucy immer schwächer, und schließlich haben, leider, leider, ihr Herz und ihre Atmung ausgesetzt, und sie starb.“
„Oh!“, sagte ich wiederum. Tränen brannten mir in den Augen, und ich weinte um meine beiden lieben Freundinnen, die mir so viel bedeutet hatten.
Dr. van Helsing saß still neben mir, bot mir sein Taschentuch an und ließ mir diesen Augenblick der Trauer, bis ich mich wieder ein wenig in der Gewalt hatte. Schließlich sagte er: „Es tut mir leid, dass ich so schlechte Nachrichten überbringen muss, Frau Mina, aber ich wollte Sie dringend sprechen. Während Fräulein Lucys Krankheit hegte ich einen Verdacht, einen ernsten Verdacht, was hinter all dem stecken mochte. Doch ich fand keine Bestätigung für meine Vermutung, noch steht es mir frei, sie Ihnen zu offenbaren. Nachdem ich jedoch Fräulein Lucys Tagebuch gelesen hatte, war ich überzeugt, dass alles in Whitby begann.“
„Lucy hat Tagebuch geführt?“, fragte ich überrascht und trocknete meine Tränen. „Ich habe sie nie schreiben sehen.“
„Sie begann damit erst, nachdem Sie fort waren, Frau Mina. Fräulein Lucy meinte, sie wollte Ihnen nacheifern. Nun, in diesen Aufzeichnungen schildert sie gewisse Einflüsse, die sie zum Schlafwandeln brachten. Sie erzählt auch, dass sie einmal bei einer solchen Gelegenheit von Ihnen gerettet worden sei. Ich komme also in großer Ratlosigkeit zu Ihnen und bitte Sie, mir in Ihrer großen Güte alles zu berichten, woran Sie sich erinnern.“
„Ich darf wohl behaupten, dass ich Ihnen alles erzählen kann.“
„Oh, dann haben Sie also ein gutes Gedächtnis für Erlebnisse, für Details?“
„Ich denke schon, Herr Doktor. Ich habe seinerzeit alles aufgeschrieben. Ich kann es Ihnen zeigen, wenn Sie wünschen.“
„Oh, Frau Mina! Ich wäre Ihnen sehr verbunden, dürfte ich diese Niederschrift sehen. Sie erweisen mir damit einen großen Gefallen.“
Ich holte mein Tagebuch und zeigte es ihm. „Ich habe darin all meine Gedanken und alles aufgeschrieben ...“ Als ich an Herrn Wagner dachte, fügte ich rasch hinzu: „Beinahe alles, was in Whitby geschehen ist, einschließlich sämtlicher Einzelheiten zu jenem Vorfall mit dem Nachtwandeln, auf den Sie sich bezogen, und einschließlich all der Gelegenheiten, als ich Lucy unwohl fand oder bestürzt antraf.“
Dr. van Helsing machte jedoch ein langes Gesicht, als er auf die Krakel in meinem Notizbuch starrte. „Leider kann ich nicht stenographieren! Wollen Sie mir nicht die Freude machen, es vorzulesen?“
„Das würde ich sehr gern tun, Herr Doktor. Aber Sie können es selbst lesen, wenn Sie mögen. Ich habe alles ins Reine geschrieben.“ Ich nahm die mit der Maschine geschriebene Kopie aus meinem Arbeitskörbchen und reichte sie ihm.
„Oh, Sie kluge Frau! Wie viele Fertigkeiten Sie haben! Und mit welcher Voraussicht Sie handeln! Darf ich es sogleich lesen? Ich möchte Sie danach einiges fragen.“
„Sehr gern. Ich kümmere mich inzwischen um unseren Lunch. Dann können Sie mich während der Mahlzeit fragen.“
Dr. van Helsing machte es sich auf seinem Stuhl bequem und vertiefte sich in die Lektüre. Ich ging hinaus, um nach dem Lunch zu sehen, hauptsächlich aber, um ihn nicht zu stören. Anschließend begab ich mich leise eine Weile nach oben, wo ich mit wachsender Besorgnis im Korridor auf und ab lief. Was würde der Professor von meinem kleinen Buch halten?, fragte ich mich. Würden meine Aufzeichnungen ein klärendes Licht auf das werfen, was der armen Lucy zugestoßen war? Was mich am meisten verwirrte: Was konnte denn an der Krankheit eines neunzehnjährigen Mädchens so kompliziert und geheimnisvoll sein, dass es einen Mann mit
Weitere Kostenlose Bücher