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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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dies sagte, schien er diesen Gedanken weiter auszuarbeiten, denn er fuhr plötzlich mit veränderter Stimme und der naiven Zuversicht eines Kindes fort: »Das ist wirklich wahr, auf meine Ehre, Indianerehrenwort!« Ich konnte mich nicht enthalten zu lächeln, worüber er das Gesicht verzog. »Nun, da habe ich mich wohl verraten«, sagte er. »Aber wissen Sie, obwohl ich das Tagebuch seit Monaten führe, kam mir tatsächlich bislang niemals in den Sinn zu ergründen, wie ich es wohl anzustellen habe, einen bestimmten Teil der Aufzeichnungen wiederzufinden, wenn ich ihn benötigen sollte.« Plötzlich begriff ich, dass das Tagebuch des Arztes, der Lucy behandelt hatte, wohl auch geeignet sein würde, unserem Wissen von jenem entsetzlichen Wesen einiges hinzuzufügen, und so sagte ich kühn:
    »Dann wäre es vielleicht doch besser, Dr. Seward, wenn Sie mich eine Kopie auf der Schreibmaschine anfertigen lassen würden.« Er wurde leichenblass und entgegnete:
    »Nein, nein, nein! Um keinen Preis der Welt dürfen Sie diese schreckliche Geschichte erfahren!«
    |322| Also war es wirklich etwas Schlimmes, meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht! Einige Augenblicke dachte ich nach, und wie meine Blicke so durch das Zimmer schweiften, unbewusst nach irgendetwas suchend, das mir helfen könnte, blieben sie auf einem großen Paket Aufzeichnungen in Maschinenschrift hängen, das auf dem Tisch lag. Seine Augen folgten unbewusst meiner Blickrichtung, und als sie ebenfalls auf dem Paket angelangt waren, erkannte er sofort meine Gedanken.
    »Sie wissen nichts über mich«, sagte ich daher. »Wenn Sie aber diese Papiere gelesen haben werden – es ist mein Tagebuch und das meines Mannes, welches ich mit der Maschine kopiert habe –, dann werden Sie mich etwas kennen. Ich habe keinen Augenblick gezögert, jeden meiner Gedanken hier niederzulegen, aber, wie gesagt, bis jetzt kennen Sie mich nicht, und ich kann also auch nicht erwarten, dass Sie mir Ihr Vertrauen schenken.«
    Er ist zweifelsohne ein Mann von noblem Charakter, Lucy hatte ihn ganz richtig beurteilt. Er stand auf und öffnete eine große Schublade, in der mehrere hohle Metallzylinder mit dunklem Wachsüberzug wohlgeordnet beieinanderlagen, und sagte:
    »Sie haben recht. Ich habe Ihnen nicht vertraut, weil ich Sie eben nicht kannte. Aber jetzt kenne ich Sie, und lassen Sie mich sagen, ich hätte Sie eigentlich schon länger kennen sollen. Ich weiß, dass Lucy Ihnen von mir erzählt hat; sie hat mir aber auch von Ihnen erzählt. Darf ich Ihnen die einzige Genugtuung geben, die ich Ihnen geben kann? Nehmen Sie diese Zylinder und lassen Sie sich alles von ihnen berichten. Das erste halbe Dutzend bringt rein persönliche Dinge und wird Sie nicht erschrecken, aber Sie werden mich danach besser kennen. Unterdessen wird das Essen fertig sein. Ich werde mich einstweilen damit beschäftigen, einige dieser Dokumente zu lesen, damit ich dann hoffentlich manches besser verstehe.« Er brachte mir den Phonographen in mein Wohnzimmer und bereitete ihn vor. Nun werde ich wohl etwas Nettes zu hören bekommen, nämlich die andere Seite einer wahren Liebesgeschichte, deren eine Seite ich ja bereits kenne …
     
    |323| Dr. Sewards Tagebuch
     
    29. September
    Ich war so vertieft in das merkwürdige Tagebuch Jonathan Harkers und das seiner Frau, dass ich die Zeit verrinnen ließ, ohne mir dessen bewusst zu werden. Auch Mrs. Harker war noch nicht zugegen, als das Mädchen meldete, dass angerichtet sei. Ich sagte deshalb: »Vielleicht ist sie müde, bitte tragen Sie in einer Stunde erneut auf!« Dann fuhr ich mit dem Lesen fort. Gerade hatte ich Mrs. Harkers Tagebuch zu Ende, als sie hereinkam. Sie sah sehr lieblich aus, aber sie war traurig, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Irgendwie ging mir das sehr nahe, hatte ich doch vor Kurzem noch weiß Gott selbst genug Ursache zum Weinen gehabt, und dennoch waren mir die erleichternden Tränen versagt geblieben. Der Anblick dieser schönen, vom Weinen noch glänzenden Augen griff mir ans Herz. So freundlich wie möglich sagte ich:
    »Ich fürchte sehr, ich habe Ihnen Kummer bereitet.«
    »Oh nein«, sagte sie, »es ist nicht
mein
Kummer, sondern es ist
Ihr
Leid, dass mich so aufgewühlt hat. Dies ist ein wundervoller Apparat, aber er macht das Geschehene so erschreckend gegenwärtig. Er hat mir durch den Klang Ihrer Stimme Ihren tiefen Schmerz verraten, es war, als riefe eine Seele den Allmächtigen um Hilfe an! Niemand sollte dies noch einmal

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