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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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kam mir der Gedanke, dass dies vielleicht seltsam sein könnte.
    Nach einer Weile ließ sein Schluchzen nach, und er erhob sich mit einer Entschuldigung, wobei er seinen Gefühlsausbruch jedoch nicht verleugnete. Er erzählte mir dann, dass er die vergangenen Tage und schlaflosen Nächte unfähig gewesen war, so mit irgendjemandem zu sprechen, wie man mit einem solchen Kummer sprechen muss. Er kannte auch keine Frau, die ihm ihr Mitgefühl hätte bezeugen oder mit der er hätte reden können, da die grausigen Umstände, mit denen sein Leid verbunden war, eine gewisse Rücksicht forderten. »Jetzt erst weiß ich, was ich gelitten habe«, sagte er, indem er seine Augen trocknete. »Ich kann aber kaum ermessen, niemand kann ermessen, wie viel Ihre Anteilnahme für mich bedeutet. Es wird der Tag kommen, an dem ich dies vielleicht zu beurteilen vermag. Und bitte glauben Sie mir, obwohl ich Ihnen schon jetzt dankbar bin, so wird meine Dankbarkeit immer mehr wachsen, je mehr mir alles zu Bewusstsein kommt. Lassen Sie mich Ihnen ein Bruder sein, mein Leben lang – um Lucys willen!«
    »Um Lucys willen«, sagte ich, als wir uns die Hände reichten.
    »Ja, aber auch um Ihretwillen«, fügte er hinzu, »denn wenn die Achtung und die Dankbarkeit eines Mannes etwas wert sind, so haben Sie diese heute überreichlich gewonnen. Sollte in Zukunft |336| je eine Zeit kommen, in der Sie der Hilfe eines Mannes bedürfen, so rufen Sie mich. Sie werden nicht umsonst rufen. Gott gebe, dass so eine Zeit für Sie nie kommt, dass der Sonnenschein in Ihrem Leben nie aufhört, aber sollte es sein, so versprechen Sie mir, mich zu benachrichtigen!« Er sagte das so ernst, und sein Schmerz war noch so nah, dass ich fühlte, ich müsse ihn mit meiner Antwort trösten. So sagte ich denn:
    »Ich verspreche es.«
    Als ich dann auf den Korridor hinaustrat, sah ich Mr. Morris am Fenster stehen. Auf das Geräusch meiner Schritte hin drehte er sich um. »Wie geht es Art?«, fragte er. Da aber mussten ihm schon meine geröteten Augen aufgefallen sein, denn er fuhr fort: »Ah, ich sehe, Sie haben ihn getröstet. Armer alter Knabe, er hat das dringend gebraucht. Einzig eine Frau kann einem Mann helfen, dem das Herz gebrochen ist. Und er kennt niemanden, der ihm diesen Dienst erweisen könnte.«
    Mr. Morris trug sein eigenes Leid so tapfer, dass er mich innig rührte. Ich sah das Manuskript in seiner Hand und wusste, dass ihm, wenn er es erst zur Gänze gelesen hatte, auch klar sein musste, in welchem Umfang ich über alles unterrichtet war. Ich sagte also:
    »Ich wollte, ich könnte alle trösten, deren Herz blutet. Darf ich auch
Ihre
Freundin sein, und wollen Sie sich von mir trösten lassen, wenn Sie des Trostes bedürfen? Sie werden später erkennen, warum ich Sie darum bitte.« Er sah, dass es mir ernst war, trat näher, verbeugte sich, ergriff meine Hand und führte sie an seine Lippen. Das schien mir aber ein zu geringer Trost für diese edle, selbstlose Seele zu sein, und unwillkürlich küsste ich ihn auf die Stirn. Tränen traten in seine Augen, und mit leiser Stimme sagte er:
    »Kleines Mädchen, Sie sollen Ihre aufrichtige Freundlichkeit nie bereuen, solange Sie leben!« Dann ging er ins Arbeitszimmer zu seinem Freund hinüber.
    »Kleines Mädchen!« – dieselben Worte hatte er einst zu Lucy gesagt, und wie sehr hatte er sich als Freund bewährt!

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    |337| ACHTZEHNTES KAPITEL
     
    Dr. Sewards Tagebuch
     
    30. September
    Ich kam um fünf Uhr nach Hause. Godalming und Morris waren nicht nur angekommen, sondern sie hatten auch schon die Transkriptionen der verschiedenen Tagebücher und Briefe studiert, die Harker und seine wunderbare Frau angefertigt und geordnet hatten. Harker war von seinem Besuch bei den Fuhrleuten, von denen mir seinerzeit Doktor Hennessey berichtet hatte, zurückgekehrt. Mrs. Harker bereitete uns den Tee, und ich muss offen gestehen, dass ich mich das erste Mal, seit ich dieses alte Haus bewohne,
daheim
fühlte. Nachdem wir unsere Mahlzeit beendet hatten, sagte Mrs. Harker:
    »Dr. Seward, darf ich Sie um eine Gefälligkeit bitten? Ich möchte nämlich gerne Ihren Patienten Renfield kennenlernen. Bitte lassen Sie mich zu ihm, denn was Sie in Ihrem Tagebuch von ihm erzählt haben, hat mich äußerst neugierig gemacht!« Sie sah mich dabei so bittend an, dass ich nicht imstande war, ihr den Wunsch abzuschlagen, insbesondere, da auch kein fachlicher Grund dagegen sprach. Ich nahm sie also zu einer Visite mit. Zunächst

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