Dracula - Stoker, B: Dracula
hier aus etwas erspähen ließe. Die rückwärtige Gasse mit den Stallungen und Kutschenhäusern war ziemlich belebt, da die meisten Piccadilly-Häuser bewohnt |386| sind. Ich fragte einige Stallburschen, die herumstanden, ob sie mir etwas über das leere Haus sagen könnten. Einer von ihnen erzählte mir, dass es vor Kurzem vermietet worden sei, an wen, das wisse er aber nicht. Er fügte jedoch hinzu, dass noch vor wenigen Tagen ein »Zu verkaufen!«-Schild angebracht gewesen sei, und dass vielleicht Mitchell, Sons & Candy, die Makler des Hauses, mir mehr sagen könnten – wenn er sich an den Firmennamen auf dem Schild recht erinnere. Ich wollte nicht zu neugierig erscheinen oder meinen Informanten zu viel wissen oder erraten lassen, also dankte ich ihm beiläufig und schlenderte davon. Es begann bereits zu dämmern, und bald würde die Herbstnacht hereinbrechen; ich hatte also keine Zeit zu verlieren. Nachdem ich mir die Adresse von Mitchell, Sons & Candy aus einem Adressbuch im »Berkeley« herausgesucht hatte, stand ich sehr bald schon in deren Büro in der Sackville Street.
Der Gentleman, der mich empfing, war von besonders zuvorkommenden Manieren, aber leider auch in ebensolchem Maße unkommunikativ. Nachdem er mir einmal gesagt hatte, dass das Haus in Piccadilly – er nannte es während unserer gesamten Unterredung »Herrensitz« – verkauft sei, schien er mein Geschäft als erledigt zu betrachten. Als ich ihn fragte, wer es denn erworben habe, machte er seine Augen eine Winzigkeit größer, pausierte für einige Sekunden und entgegnete dann:
»Es ist verkauft, Sir.«
»Pardon,« sagte ich ebenso höflich, »aber ich habe einen besonderen Grund, mich dafür zu interessieren,
wer
es gekauft hat.«
Wieder folgte ein Pause, diesmal länger als die erste, dann hob er seine Augenbrauen noch etwas höher: »Es ist verkauft, Sir!«, war die erneute Antwort.
»Aber es wird Ihnen doch sicher nichts ausmachen«, insistierte ich, »mich wissen zu lassen, an wen.«
»Doch, es macht mir etwas aus«, antwortete er. »Die Angelegenheiten unserer Klienten sind bei Mitchell, Sons & Candy absolut |387| vertraulich.« Er war offensichtlich ein Musterschüler, ein Streit mit ihm hätte sicherlich keine Ergebnisse gebracht. Ich hielt es daher für das Beste, ihm in seiner eigenen Art zu begegnen, und sagte:
»Ihre Klienten, Sir, dürfen glücklich sein, einen so zuverlässigen Hüter ihrer Privatangelegenheiten zu besitzen. Ich weiß das zu würdigen, da ich ebenfalls zur Branche zähle.« Ich überreichte ihm mein Karte. »In dieser Sache handle ich nicht aus Neugier, sondern ich handle im Auftrag von Lord Godalming, der einiges über das Grundstück, das bis vor Kurzem zu verkaufen war, erfahren möchte.« Diese Worte brachten einen auffallenden Wechsel in seinem Verhalten hervor. Er sagte:
»Ich möchte Ihnen gern gefällig sein, Mr. Harker, und ganz besonders auch Seiner Lordschaft. Wir haben früher schon einmal einen kleinen Mietsauftrag für ihn erledigt, als er noch nicht Lord Godalming war. Wenn Sie die Güte haben wollen, mir Seiner Lordschaft Adresse zu hinterlassen, will ich die Firma in dieser Angelegenheit konsultieren und werde auf jeden Fall Seiner Lordschaft noch mit der heutigen Abendpost Nachricht zukommen lassen. Es wird uns ein Vergnügen sein, ausnahmsweise von unserem Geschäftsprinzip abzugehen, um Seiner Lordschaft gefällig sein zu können.«
Ich wollte ihn lieber als Helfer gewinnen, als ihn mir zum Feind zu machen, deshalb bedankte ich mich, gab Dr. Sewards Adresse an und empfahl mich. Es war schon dunkel, und ich war müde und hungrig. Ich trank bei Aerated Bread Company 2 einen Tee und fuhr dann mit dem nächsten Zuge nach Purfleet.
Alle Freunde waren schon zu Hause. Mina sah müde und blass aus, aber sie bemühte sich tapfer, fröhlich und frisch zu erscheinen. Es tat mir weh, dass ich etwas vor ihr zu verbergen hatte und ihr dadurch Kummer verursachen musste. Gott sei Dank, es ist heute die letzte Nacht, dass sie unseren Konferenzen zusehen |388| muss, ohne dass wir sie, so leid es mir tut, einweihen können. Ich musste meine ganze Willenskraft aufbieten, um zu dem vernünftigen Beschluss zu stehen, sie von unserem Unternehmen fernzuhalten. Sie selbst scheint sich mit dieser Tatsache allerdings schon fast abgefunden zu haben. Oder aber die ganze Angelegenheit stößt sie mittlerweile ab, denn wenn eine zufällige Anspielung gemacht wird, erschaudert sie förmlich. Ich bin froh, dass wir
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