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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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zerriss er sein Hemd und schlitzte sich mit seinen langen scharfen Nägeln eine Ader in der Brust auf. Als das Blut herauszulaufen begann, nahm er meine beiden Hände in eine der seinen und hielt sie fest umspannt, mit der anderen Hand aber packte er meinen Nacken und presste meinen Mund auf die Wunde, sodass ich entweder ersticken oder schlucken musste von seinem … Oh mein Gott, mein Gott! Was habe ich getan? Womit habe ich dieses Schicksal verdient, die ich mich doch mein Leben lang nur um Sanftmut und Rechtschaffenheit bemüht habe? Gott sei mir gnädig! Sieh nieder auf eine arme Seele in schlimmerer Gefahr als der des Todes, und erbarme dich derer, denen ich teuer bin!« Dann begann sie ihre Lippen zu reiben, als wollte sie sie von Schmutz befreien.
    Während sie ihre schreckliche Geschichte erzählte, begann der Himmel sich im Osten zu röten, und es wurde immer heller. Harker war ruhig und schweigsam, aber sein Gesicht nahm, je |419| weiter die Erzählung fortschritt, eine immer grauere Farbe an, die sich im Morgengrauen mehr und mehr bemerkbar machte. Als dann der erste rote Schein des erwachenden Tages ins Zimmer fiel, stach seine Gesichtsfarbe dunkel von seinen über Nacht weiß gewordenen Haaren ab.
    Wir haben uns verabredet, dass immer einer von uns sich in Rufweite des unglücklichen Paares aufhält, bis wir wieder zusammenkommen und über unser weiteres Vorgehen beraten können.
    Eines weiß ich sicher: Die Sonne wird heute in ihrer großen Runde kein unglückseligeres Haus bescheinen als dieses.

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    |420| ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
     
    Jonathan Harkers Tagebuch
     
    3. Oktober
    Da ich etwas tun muss, um nicht wahnsinnig zu werden, schreibe ich dieses Tagebuch. Es ist jetzt sechs Uhr, und in einer halben Stunde wollen wir im Studierzimmer zusammenkommen, um zu frühstücken. Van Helsing und Dr. Seward stimmen darin überein, dass wir kräftig essen müssen, wenn wir etwas leisten wollen. Weiß Gott, heute wird uns unser Bestes abverlangt werden. Jedenfalls darf ich nicht mit dem Schreiben aufhören, damit ich nicht nachdenken muss. Alles, Großes und Kleines, muss festgehalten werden, vielleicht lernen wir am Ende ja gerade aus den kleinen Dingen am meisten. Und dennoch hätten Mina und ich auch ohne all unsere Aufzeichnungen an keinem schlimmeren Punkt landen können als dem gegenwärtigen. Aber wir müssen vertrauen und hoffen. Die arme Mina hat mir gerade mit Tränen auf ihren lieben Wangen gesagt, dass dieser Kummer und diese Not eine Prüfung für unsere Treue wären, dass wir standhaft bleiben müssten und dass Gott uns zu einem guten Ende geleiten werde. Das Ende! Oh, mein Gott, was für ein Ende? … An die Arbeit! An die Arbeit!
    Als Dr. van Helsing und Dr. Seward aus der Zelle des armen Renfield zurückkamen, begannen wir sogleich ernsthaft mit unserer Beratung. Zuerst erzählte Dr. Seward, wie sie Renfield im Zimmer unter uns auf dem Boden liegend vorgefunden hatten, mit zerschundenem Gesicht, eingedrücktem Schädel und gebrochenem Rückgrat.
    Dr. Seward hatte den Pfleger, der auf dem Gang Aufsicht hatte, gefragt, ob er etwas Verdächtiges gehört habe. Dieser sagte, er habe |421| sich gerade etwas niedergesetzt – er gestand auch, ein wenig gedöst zu haben –, als aus dem Zimmer laute Stimmen drangen und Renfield mehrere Male »Gott!« rief. Danach habe er etwas umfallen gehört, und als er darauf hineinging, fand er ihn auf dem Boden liegend, mit dem Gesicht nach unten, genau wie die beiden Ärzte ihn später gesehen hatten. Van Helsing fragte den Pfleger, ob er eine oder mehrere Stimmen gehört habe, worauf dieser keine bestimmte Antwort zu geben vermochte. Zwar habe er anfangs gemeint, zwei Stimmen zu vernehmen, da aber doch weiter niemand im Zimmer war, konnte es natürlich nur eine gewesen sein. Das aber wolle er beschwören, dass das Wort »Gott!« von dem Patienten ausgerufen wurde. – Dr. Seward sagte in unserer Runde, er wünsche in dieser Angelegenheit möglichst wenig Aufmerksamkeit. Andernfalls müsste man sich auf eine gerichtliche Untersuchung gefasst machen, die jedoch niemals die Wahrheit ans Licht brächte, da die Wahrheit ohnehin nicht geglaubt werden würde. Wie die Dinge lagen, könne er wohl aufgrund der Zeugenaussage des Pflegers einen Totenschein darüber ausstellen, dass Renfield durch einen Sturz aus dem Bett verunglückt wäre. Falls der Leichenbeschauer doch noch eine Untersuchung verlangte, wäre das eine reine Formsache ohne andere Ergebnisse.
    Als

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