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Draculas Fluch

Draculas Fluch

Titel: Draculas Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lory
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Donnern, ist es von dort oben gekommen, wo...«
    Der Mönch konnte nicht weitersprechen. Er schlug die Augen zu Boden.
    »Ich soll dich beruhigen, mein junger Freund«, sagte der Abt. »Du kennst doch die geheiligten Verse. Erinnere dich an sie. Es kann geschehen, heißt es in einem, daß derjenige, der die Große Macht besitzt, wieder befreit wird. Falls diese Zeit gekommen ist, mein Freund, dann ist sie gekommen. Aber denke auch an den anderen Vers. Da steht geschrieben: Es kann auch geschehen, daß dann der Beschützer wiederkehren wird.«
    Der zweite Mönch schlug die Augen zu dem Abt auf. »Ehrwürdiger Vater«, sagte er, »ich kenne die Verse und habe sie eben aus deinem gütigen Mund noch einmal gehört. Ich bin aber trotzdem verwirrt. Das, was der erste Vers besagt, kann doch eintreten, während sich der zweite nicht bewahrheitet.«
    »Das stimmt, mein Sohn«, antwortete der Mann, dessen Alter niemand kannte. »Aber was sollen wir dann tun? Wenn du mit Sicherheit wüßtest, daß dein Schicksal im Begriffe ist, sich auf dich herabzusenken, würdest du dann ein anderes Leben leben?«
    »Diese Frage hast du auch unserem Bruder gestellt, weiser Qua Siem«, sagte der Mönch und warf einen scheuen Blick auf den Toten.
    »Genau«, erwiderte der alte Priester. »Er ist zu bemitleiden, denn er starb anders, als er lebte. Ihr beide und ich, man wird uns nicht bemitleiden, noch werden wir bemitleidenswert sein, oder?«
    Die beiden Mönche schwiegen. Sie waren zwar erst Mitte neunzig, aber sie kannten die Verse gut und fürchteten den Beschützer, dem sie dienten, den sie jedoch noch nie gesehen hatten. Aber zu fürchten war auch der andere.
    Derjenige, der vor so vielen Jahrhunderten in einer eisig weißen Krypta begraben worden war.
    Die Decke der gleißend weißen Halle brach unter dem Gewicht des Himmelskörpers ein, der auf dem unebenen Boden zerschellte.
    Zwischen den Trümmern eines seltsam glasigen Gesteins lag eine Kristallkugel von vielleicht fünfzig Zentimetern Durchmesser. In ihrer unendlich scheinenden Tiefe bewegte sich etwas, was wie Nebel aussah, aber vom Wind getrieben wurde.
    Die riesige Halle unter dem Gipfel des hohen Berges glich einer Tropfsteinhöhle von weißgefrorenen Stalaktiten und Stalagniten. In ihrer Mitte stand der Große Thron, aus grobem Eisen geschmiedet und von Eis eingehüllt.
    Und auf dem Thron saß der erstarrte Mann.
    Von den Sohlen seiner Lederstiefel bis zur Spitze seines Messinghelms maß er knapp drei Meter. Seinen breiten Brustkorb bedeckte eine Rüstung, unter der er ein Lederwams mit kurzen Ärmeln trug. Die Tunika, die seine Lenden bedeckte, reichte ihm bis knapp über die Knie. Das stählerne, von Narben durchzogene Gesicht erzählte die Geschichte vieler Schlachten. Ein mongolisches Gesicht. Es sah alt aus, doch die Haare, die bis über die Schultern herunterhingen, waren dicht und pechschwarz. Kraft und Stärke sprachen aus den offenen Augen und dem energischen Mund. Sie waren nicht von Alter gezeichnet.
    Wie der Thron, auf dem er saß, war der Hüne in eine Eisschicht eingehüllt. Die Stille, die ihn umgab, mochte die Stille des Todes sein.
    Und dann sprach es aus der Kristallkugel.
    Anfangs nicht mit Worten, zuerst erscholl ein hoher, schriller Ton, und gleichzeitig war innerhalb der Kugel eine Veränderung wahrzunehmen. Der wirbelnde Nebel verschwand, und ein tiefviolettes Licht begann zu glühen. Es wurde rot, dann orange, dann gelb, bis es die ganze Kugel erfüllte und in einem Weiß erstrahlte, das weißer war als die eisigen Wände der Halle.
    Und jetzt bewegte sich der Hüne.
    Zuerst der Daumen, dann seine ganze rechte Hand. Die Lider des Mannes fielen zu, um sich sofort wieder zu öffnen. Die linke Hand zitterte, das rechte Bein zuckte. Und bei jeder Bewegung ertönte das Geräusch brechenden Eises.
    Zwanzig Sekunden nach dem ersten Aufleuchten innerhalb der Kristallkugel war das Geräusch verstummt.
    Der Mann stand aufrecht.
    Er hatte die riesigen Hände auf die Hüften gestemmt und ließ den Blick durch die Halle gleiten.
    Und dann erklang die Stimme. Es war eine hohle Stimme, die von weit her zu kommen schien und trotzdem ganz nahe war.
    »Ka-Zadok, Zauberer des Westlichen Imperiums, du bist frei!«
    Der Hüne schien die Stimme zu ignorieren. Sein Blick richtete sich auf die Kristallkugel, und er nickte. Er streckte die Hände aus und betrachtete sie, als gehörten sie nicht ihm.
    »Hörst du mich, Ka-Zadok?« fragte die Stimme.
    »Ich – ich höre dich.«

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