Dracyr – Das Herz der Schatten
Flugausrüstungen wurden in einem abgetrennten Bereich des Pferches aufbewahrt. Hier verwandelten sich die Zöglinge von nicht weiter auffälligen jungen Menschen in die düsteren Schattenreiter, wie sie die Menschen auÃerhalb der Burg hassten und fürchteten.
Kay hatte sich mittlerweile durch ihre Ãbungseinheiten mit Damian an den Vorgang gewöhnt, der aus ihr ein Ungeheuer in Menschengestalt machte. Sie öffnete ihren Schrank und begann, sich auszuziehen. Mieder und Rock, Bluse und Unterrock fielen raschelnd zu Boden und sie stieg in die schwere, warme Montur aus Leder und dicker Wolle. Die weiche, warme Unterkleidung aus feiner Wolle, die wattierte Hose und das ebenfalls gepolsterte dicke Wams dienten als Isolierung gegen die Kälte der höheren Luftschichten ebenso wie als effektive Tarnung. Wer diese Kleider trug, hatte eine eckige, breite, nicht mehr als Mann oder Frau zu erkennende Statur. Dazu trugen auch die klobigen Stiefel und schweren Stulpenhandschuhe bei. Ãber all das kam noch der weite Kapuzenmantel, eine Lederhaube mit blauen Augengläsern und eine Maske, die das Gesicht bedeckte.
Sie schloss die Gürtelschnalle und befestigte die Führgerte und die Peitsche am Gürtel. Beides hatte sie noch nie benutzt, und sie gedachte auch nicht, es zu tun. Die anderen hatten keine Skrupel, ihre Dracyr zu züchtigen, aber Kay widerstrebte dies zutiefst.
Sie bewegte die Arme, ging in die Knie und ruckelte mit den Schultern. Sie hasste all das schwere Zeug am Leib. Nichts wäre schöner, als ohne diese Montur fliegen zu dürfen, so wie Damian es tat. Auch Lord Harrynkar trug niemals eine Flugmontur. Aber den Schattenreitern war es verboten, ohne sie auf einem Dracer zu reiten, und Kay gelüstete es nicht danach herauszufinden, wie die Strafe dafür aussähe, wenn sie diesem Verbot wirklich einmal zuwiderhandeln würde.
Abgesehen davon hatte Damian ihr bisher noch nicht erlaubt, mit Gormydas zu fliegen, und es schien ihr manchmal, als würde er es nie tun.
Sie stapfte den Gang zum Flugkorridor hinunter und klatschte die Stulpenhandschuhe gegeneinander. Gormydas wartete geduldig im Startbereich auf sie. Er trug bereits sein Geschirr, also würde sie sich heute einmal nicht mit all den Schnallen und Riemen abplagen müssen.
Damian tauchte wenig später auf, er blickte sie finster an. » Aufsitzen « , bellte er.
Kay griff wortlos nach dem Knotenstrick und hangelte sich daran empor. Das Aufsitzen hatte sie inzwischen so oft geübt, dass es ihr auch im Schlaf gelungen wäre. Sie schwang das Bein über den Sattel und schnallte sich fest. Die Sicherungsriemen schnitten tief in die Polsterung ihrer Hose, und sie ruckelte daran, um sich zu vergewissern, dass sie kein Spiel mehr hatten.
Damian kletterte geschickt am Geschirr hoch und überprüfte ihren Sitz. Sie spürte das leise Grollen, mit dem Gormydas sich beschwerte. Dracyr duldeten ungern fremde Reiter und Gormydas war noch jung und ungestüm. Kay besänftigte seinen Unmut mit einer leichten geistigen Berührung und lieà das Ruckeln und Zerren über sich ergehen, mit dem Damian ihre Sicherung kontrollierte. Er knurrte und löste die Oberschenkelriemen ein Stück, um sie dann energisch festzuziehen. Kay schnappte nach Luft. Trotz der wattierten Hose schnitten die Riemen unangenehm fest in ihr Fleisch. Und noch einmal zerrte Damian sie ein Stück enger. Kay konnte einen Schmerzenslaut nicht unterdrücken. » Damian, das ist zu eng « , keuchte sie.
Er ignorierte ihren Protest und zog den Lederriemen noch fester. Der Schmerz schoss Kay bis in die Zehenspitzen. » Damian « , rief sie und schlug mit der Faust auf seine Hand. » Mach mich los, du bringst mich um! «
Er packte ihr Handgelenk und hielt es fest. Sein Blick begegnete ihrem, und sie sah, dass seine Augen so dunkel waren wie eine neblige Winternacht. » Die Riemen bleiben so « , sagte er leise und scharf. » Du bist eine Anfängerin, Kay. Ich muss dich sichern. Ich will dich nicht abstürzen sehen, nur weil ich zu nachgiebig gewesen bin und dich nicht ordentlich festgeschnallt habe. «
Kay biss die Zähne aufeinander und atmete hastig ein.
Unter ihr regte sich Gormydas. Sein Hals bog sich empor, er drehte den Kopf zu ihr. Sie erwiderte seinen flammenden Blick durch einen Tränenschleier hindurch.
Soll ich ihn töten?
» Nein « , sagte sie unwillkürlich laut. » Nein,
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