Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes

Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes

Titel: Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
Vom Netzwerk:
ihre Hand über die weichen Felle. Die Fingerkuppen ertasteten Holz, der Verstand erkannte die glatte Fläche des niedrigen Tisches neben dem Kopfende des Lagers. Dann fuhr die Hand an der glatten, feuchten Wandung eines schlanken Kruges hoch, erfaßte den Henkel und hob den Krug an. Maratha trank in langen, durstigen Zügen den dünnen Wein. Sie sah nichts, die blinde Seherin, und auch über der zweiten, inneren Welt lag wieder das Dunkel des Nichtgeschehens.
    Aber was sie gesehen hatte, war furchtbar gewesen. Marathas Geist war umhergeschwebt wie ein Adler.
    Sie hatte mit ihren inneren Augen das Lager gesehen. Ihre Gedanken waren auf die Reise gegangen und hatten Dragon gefunden, den einzigen Mann auf dieser Welt, dessen Geist dem ihren ebenbürtig war. Den Mann, um den sie die junge Prinzessin glühend beneidete. Und gerade in dem Augenblick, da Dragon seine Arme um das Mädchen schloß, sah Maratha den Erbfeind, das Erzübel ihres Lebens.
    Cnossos …
    Er hatte sich die Gestalt Dragons gegeben und warf Traumpulver in das Glutbecken. Im nächsten Augenblick hatte Maratha Anteil an Dragons Traum, der zunächst zusammengesetzt war aus Bruchstücken der letzten Erlebnisse, aus undeutbaren Fetzen uralter Erinnerungen oder Träumen von einer bizarren Welt aus den Abgründen seines Verstandes. Plötzlich war der Traum klar und deutlich geworden, als das Pulver seine volle Kraft entfaltet hatte. Dragon hatte von Amee geträumt und von einer nicht abreißenden Kette glücklicher gemeinsamer Erlebnisse.
    Dragon war verloren, wenn er nicht aufwachte!
    Mit aller Kraft, die ihr zu Gebote stand, hatte Maratha versucht, den Traum zu zerreißen. Sie hatte die Stelle der Prinzessin eingenommen, hatte Dragon Warnungen zugerufen, hatte schließlich seinen Körper zu wecken vermocht – keinen Augenblick zu früh –, als sie mit seinen Augen sah, wie die Klinge auf ihn herabstieß. Gemeinsam kämpften sie gegen den Feind aus der Nacht.
    »Der Kampf hat zu lange gedauert. Viel zu lange … Auch Ubali konnte nicht helfen«, stöhnte Maratha und trank den Krug leer.
    Und Xando war noch nicht zurückgekehrt.
    Sie hatte Ubali ebenfalls eine Weile zu wecken vermocht. Sein Verstand sprach leicht und schnell an. Aber als sie gegen Cnossos kämpften, galt diesem Kampf ihre ganze Aufmerksamkeit. Deshalb konnte sie Ubali nicht helfen – und nach einer Weile ließen ihre Kräfte so rapide nach, daß sie auch Dragons Geist verlassen mußte.
    Das letzte Bild in ihrem Kopf waren die Massen der Vampire, die aus den Wolken herabfielen und sich auf Menschen und Tiere stürzten.
    Maratha lehnte sich gegen die Wand der Hütte, gegen ein weiches Ziegenfell, von dem der Hirt gesagt hatte, es sei braun und weiß gescheckt. Ganz langsam erholte sich die Seherin. Dann verließ sie wieder kurz die Welt der äußeren Dinge und versenkte sich in die andere, innere.
    Ihr Geist fand Zugang zum Hirn des treuen Hundes, der auf dem Weg zur Hütte war, nachdem er Cnossos entlarvt hatte.
    Maratha gab Xando einen neuen Befehl und erfüllte das Tier mit frischer Kraft, damit es den langen Weg in schnellerem Tempo zurücklegen konnte.
    Das war alles, wozu sie im Augenblick in der Lage war.
    Sie stand auf und tastete sich entlang vertrauten Kanten und Flächen dem Luftzug entgegen und schlug die Felle vor dem Hütteneingang zurück. Es war Nacht; sie spürte es an der Kühle, die feucht aus dem Westen kam. Ihre Finger fanden den langen weißen Stab. Sie ging mit kleinen, zögernden Schritten den ausgetretenen Weg entlang und wurde erst schneller, als sie mit großer Sicherheit wußte, daß ihre Kräfte ausreichten.
    Sie erreichte die Felsen an der Quelle und zog sich langsam aus. Sie erschauerte, als sie die Nachtluft auf ihrem Körper spürte. Dann watete sie bedächtig ins Wasser des kleinen Sees hinein. Mit jeder Handbreit, die das kalte Wasser an ihrem Körper hochstieg, fühlte sie ihre alten Kräfte wiederkehren. Sie blieb lang im Wasser, wusch sich den Schweiß vom Körper und war, als sie wieder zu den Steinen und ihrer Kleidung zurückkehrte, eine junge Frau von strahlender Schönheit.
    Mit leuchtenden Augen, die ihre Umwelt nicht sahen.
    In dieser Nacht träumte auch sie von Dragon, dem Sohn von Atlantis.
     
    Die beiden Pferde galoppierten, als sei ein Feuer hinter ihnen her. Sie waren ausdauernd und kräftig, aber ihre Schnelligkeit überraschte selbst Cnossos, der in den Steigbügeln stand und mit seinen Augen die Finsternis der Schlucht zu durchdringen

Weitere Kostenlose Bücher