Dragon Sin: Roman (German Edition)
aufhalten können. Sieh dich doch an. Mit jeder Sekunde wirst du schwächer. Wir müssen nur warten, bis du ohnmächtig wirst.« Bei den Worten des Hauptmanns verspürte Aggie echte Angst, aber da trat der Wolf, der nun viel kleiner war als zuvor, vor sie und stellte sich den Soldaten entgegen. Nun erkannte Aggie, dass sie taub geworden war. Sie konnte nichts mehr hören. Nicht die Soldaten, die über den Wolf lachten, nicht den Wind in den Bäumen und auch nicht den Klang ihres eigenen Herzschlages. Sie hörte gar nichts mehr, dafür sah sie noch sehr gut. Sie sah, wie der Wolf bellte. Einmal. Und obwohl Aggie nichts hören konnte, bemerkte sie, wie die Welt um sie herum erbebte. Bäume stürzten um, Felsbrocken gerieten ins Rollen, und der Boden riss unter den Soldaten auf. Die Männer rissen die Münder auf – Aggie vermutete, dass sie schrien –, fassten sich mit den Händen an die Köpfe, und Blut quoll ihnen aus den Ohren und lief ihnen zwischen den Fingern hindurch.
Als sie tot auf der Erde lagen, ging der Wolf zurück an Aggies Seite und drängte seinen Körper an sie. Nun, da die Gefahr vorüber war, konnte sie wieder hören. Sie nickte ihm zu. »Vielen Dank.«
Er drückte sich wieder an sie. Er bot ihr an, sie nach Hause zu eskortieren, und stumm willigte sie ein. Auch wenn das der einzige Grund sein sollte, wie oft in ihrem Leben würde sie die Gelegenheit haben, von einem Gott nach Hause gebracht zu werden?
Mit einem letzten Blick auf die Stelle, wo vorhin noch ihr Bruder gestanden hatte, und mit einem stillen Gebet, dass er in Sicherheit sein möge, machte sie sich mit dem Gott an ihrer Seite auf den Heimweg.
33 »Diese hinterhältige, bösartige Hure von einer Göttin!«
Éibhear hörte eine Stimme, die er seit fünf Jahren nicht mehr gehört hatte, die er aber sehr gut kannte. Annwyls Stimme. Doch als er sich umdrehte und die Gefährtin seines Bruders sehen wollte, schlug ihm Celyn ins Gesicht.
Knurrend richtete er seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf seinen Vetter. Annwyl und der Grund, warum sie plötzlich in diesen Tunneln war, konnten warten.
Ein Horn, das kein Südländerhorn war, ertönte in der Ferne, und Edana, die zusammen mit Austell versucht hatte, ihn und Celyn zu trennen, hielt sofort inne.
»Edana?«, fragte Breena. Éibhear hörte die Warnung in der Stimme seiner Cousine. Die Angst. Nun erbebte der Boden unter ihnen, und Edana packte sowohl Éibhear als auch Celyn am oberen Teil ihrer Brustpanzer. Ihr Schwanz peitschte hin und her und fand schließlich Halt an einem der Felsen, die aus dem Höhlenboden ragten. Kaum eine Sekunde später tat sich der Boden auf. Alle waren völlig überrascht und fielen hin. Aber Edana hielt Éibhear und Celyn fest gepackt. Breena erwischte Annwyl, und Nesta fing Breena auf und riss die beiden auf sicheres Gelände. Doch niemand, absolut niemand kümmerte sich um Austell. Der Sturz war so kurz, dass seine Flügel ihm auch dann nicht von Nutzen gewesen wären, wenn er daran gedacht hätte, sie auszubreiten. Außerdem war es nicht der Sturz, der ihn tötete – es war die Reihe der angespitzten Stahlstäbe, die nebeneinander im Boden steckten.
Éibhear blieb nur ein kurzer Augenblick, um zu begreifen, dass sein Freund und viele seiner Kameraden von diesen Stacheln aufgespießt worden waren, bevor die Eisendrachen aus der Öffnung strömten, die die gesamte Länge und Breite des Tunnels durchzog. Während sie monatelang ihren Tunnel gegraben hatten, hatten die Eisendrachen darunter einen weiteren angelegt. Und auf diesen Moment gewartet.
»Alle raus!«, brüllte Edana. »Raus! Bewegt euch!« Sie warf Éibhear und Celyn in die Luft, und die beiden breiteten die Flügel aus und stiegen in die Höhe. Doch alles, was Éibhear sah, war Austell. Er sah, wie das eigene Gewicht seinen Freund auf den Stab spießte; er sah dessen weit geöffnete, glasig werdende Augen, als er noch zweimal zu atmen versuchte und dann reglos wurde.
»Éibhear!«, rief Celyn. »Komm schon!«
Ein Eisendrache stürmte heran und stieß mit seinem Stahlspeer in Éibhears Richtung. Aber Éibhear packte die Waffe und verbog sie mit einer Klaue.
Und da kam eine Wut über ihn, die er nie zuvor gekannt hatte.
Wie schon einige Stunden zuvor erbebte auch nun wieder die Erde unter Gwenvaels Klauen. Er schaute nach unten und erwartete, dass sich der Boden auftat oder etwas explodieren würde, wie die Eisendrachen die Polycarp-Berge hatten explodieren lassen. Doch nichts geschah.
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