Dragon Sin: Roman (German Edition)
hielt die Waffe in ihrer Hand. Sie schien so … gewöhnlich zu sein. Ein einfacher Metallstab. Sonst nichts. Aber dann wünschte sie sich die Spitze herbei, und sie war da. Mit der freien Hand betastete Rhona sie.
»Vorsichtig«, warnte ihr Vater. »Sie ist verdammt spitz.«
Das war sie allerdings. Rhona war entzückt.
Sie rief den Speer hervor, und die Waffe verlängerte sich. Sie hatte die perfekte Größe für Rhona; die Spitze ragte nur ein wenig über ihren Kopf hinaus.
Rhona ging in die Hocke, streckte das Bein zur Seite aus und nahm die Waffe in beide Hände. Ein geduckter Angriff.
Ihr Vater trat zurück und beobachtete sie mit einem warmherzigen Lächeln. Als sie jünger und öfter zu Hause gewesen war, hatten sie das oft gemacht. Er hatte neue Waffen hergestellt, und sie hatte sie ausprobiert. Das war der Hauptgrund dafür, dass sie mit mehr Waffen umgehen konnte als die meisten Drachenkrieger.
Sie stieß mit dem Speer zu, stand auf und schwenkte ihn durch die Luft.
»Sein Gewicht ist wunderbar, Daddy.«
»Leicht, nicht wahr? Aber im Zusammenspiel mit deiner Stärke ist er tödlich.«
»Ich liebe ihn«, platzte sie heraus. »Ich liebe ihn voll und ganz.«
»Ruf seine maximale Länge hervor. Auch damit kannst du in Menschengestalt noch umgehen.«
Aufgeregt versuchte Rhona es und richtete die Waffe in Richtung des Eingangs, um nicht auf ihren Vater zu zielen. Sie rief die Drachenlänge hervor und sah freudig zu, wie der Speer in ihrer Hand wuchs, bis er durch den Zelteingang drang und …
»Autsch! Götterverdammt, Frau!«
Mit einem raschen Gedanken verkürzte Rhona ihre Waffe wieder. Wenige Sekunden später kam der Blitzdrache ins Zelt getaumelt. Blut tropfte von seiner Schulter, und Blitze zuckten aus seinem Körper.
»Ich habe es dir doch gesagt!«, brüllte er. »Das mit deinem Speer war ein Unfall!«
Sie setzten Vigholf auf einen Stuhl, und die beiden Feuerspucker beugten sich vor, um einen besseren Blick auf seine Wunde zu erhalten. Es war nicht schwer, die Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter zu bemerken. Allerdings war Rhona viel hübscher.
»Er wird’s überleben«, sagte der Mann, der kein großes Interesse für Vigholfs Wunde aufzubringen schien.
»Woran liegt es, dass ich einer Einladung in dieses Königreich folge und dann einem Mord entgehe?«
»Glück?«, fragte Rhona.
Zusammen mit Ragnar und Meinhard hatte Vigholf vor fünf Jahren, kurz vor dem Beginn des Krieges gegen die Eisendrachen, Keita und Éibhear in die Südländer eskortiert. Damals hatte er seine erste Begegnung mit der berüchtigten Annwyl gehabt, als diese ihn und Meinhard gejagt hatte. Während sie versucht hatten, die wahnsinnige Königin im Zaum zu halten, hatte sie Vigholf den Kopf abreißen wollen – aber stattdessen nur seine Haare erwischt. Das war ihm damals furchtbar peinlich gewesen, und er hatte geglaubt, diese Schande niemals überleben zu können. Doch als Vigholf Annwyl besser kennenlernte, begriff er rasch, dass er von Glück reden konnte, seinen Kopf behalten zu haben.
Rhonas Vater beugte sich vor und betrachtete die Wunde genauer. »Das bekomme ich wieder hin.« Er griff nach Vigholf, der sofort von dem Stuhl aufsprang.
»Ich will niemand beleidigen, aber ich möchte lieber nicht von einem Schmied behandelt werden.«
»Sei nicht so kindisch«, tadelte Rhona ihn. »Mein Daddy ist gut mit Nadel und Faden.«
»Dein Vater kann seine Nadel und seinen Faden behalten, vielen Dank auch.«
Rhona verschränkte die Arme vor der Brust. »Was willst du denn sonst tun? Den ganzen Abend herumspazieren und wie eine abgestochene Kuh bluten, bis du ohnmächtig wirst und stirbst und wir gezwungen sind, deine Überreste rasch zu verbrennen, damit der Gestank deines Leichnams die Kinder nicht beunruhigt?«
»Deine Sorge um mein Wohlergehen überwältigt mich, Sergeantin.«
»Du hättest mir nicht folgen sollen, Kommandant .«
»Wer sagt denn, dass ich das getan habe?«
»Der gesunde Menschenverstand.«
»Keine Ahnung, wer das sein soll«, murmelte er, wandte sich ab und sah sich im Arbeitsbereich des Schmieds um.
»Wenn du nicht willst, dass sich mein Vater um die Wunde kümmert, solltest du wenigstens zu den Heilern am See gehen. Sie werden dir helfen.«
»Nicht nötig.« Vigholf zog sein Kettenhemd aus, begab sich hinüber zur Schmiede und zog einen Schürhaken aus den brennenden Kohlen.
»Warte doch!«, rief Rhona aus, doch da presste er sich schon den Schürhaken gegen die offene Wunde und
Weitere Kostenlose Bücher