Dragon Sin: Roman (German Edition)
und verschaffst dir dadurch gleichzeitig die Möglichkeit, dich auf Thracius’ Thron zu setzen?«
Sie ließ den Speer los und trat einen Schritt zurück. »Aber du solltest deine Wahl rasch treffen, denn die Zeit für diejenigen, die ich liebe, und für die, die du liebst, läuft allmählich ab.«
Der Rebellenkönig starrte Annwyl lange an und sprach schließlich das Offensichtliche aus. »Du bist tatsächlich so verrückt, wie man sagt.«
»Ich bevorzuge den Begriff ›hartnäckig‹. Er klingt angenehmer, findest du nicht auch?« Dann grinste sie, und alle in der Höhle machten vorsichtshalber einen Schritt zurück.
27 Es hatte Zeiten in Gaius Lucius Domitus’ Leben gegeben, in denen er sich gewünscht hatte, dass alles anders wäre. Dass er selbst anders wäre. Dass er sich einfach zurücklehnen und die grausame und bösartige Herrschaft seines Onkels hinnehmen könnte wie alle anderen aus seiner Blutlinie. Oder dass er darüber hinwegsehen könnte, dass seine Art die Menschen missbrauchte, mit denen sie zusammenlebte. Oder dass die Sklaverei etwas völlig Normales sei. Wäre er anders gewesen, hätte ihn das alles nicht berührt.
Als er in die verrückten grünen Augen der Menschenkönigin starrte, in denen keine Grenzen und kein Verstand erkennbar waren, erkannte er, dass dies einer der Momente war, in denen er sich wünschte, ein solcher Drache zu sein.
Gaius hatte von Annwyl der Blutrünstigen gehört. Verdammt, jeder hatte von ihr gehört. Sie war die halbtote Königin, die mit Drachen herumvögelte und der es irgendwie gelang, Kinder von ihnen zu bekommen. Wie jeder wusste, war so etwas nie zuvor möglich gewesen. Darüber hinaus gab es jene, die sagten, dass Annwyl die Blutrünstige nicht nur verrückt, sondern auch grausam, gemein, kaltblütig, mörderisch, gefährlich, verhurt und etliches andere war, was sie zu einem der verwerflichsten Wesen auf dem Planeten machte.
Und doch war sie persönlich hergekommen und große Gefahren eingegangen, nur um mit ihm zu sprechen. Sie hätte einen Boten oder einen ihrer Soldaten schicken können. Sie alle hätte Gaius in Stücken zurückgeschickt. Doch stattdessen war sie mit drei anderen Drachen und einem Mädchen hergekommen, und sie hatten sich durch die Tunnel unter den Bergen geschlagen – durch jene Tunnel, die die meisten Eisendrachen niemals betreten würden, weshalb Gaius und seine Truppen sie in erster Linie benutzten.
»Was denkst du gerade, alter Freund?«
Varro Marius Parthenius war der Sohn von Laudaricus Parthenius, Thracius’ menschlichem Stellvertreter. Obwohl Vater und Sohn nie gut miteinander ausgekommen waren, hatte Varro vieles aufgegeben, um an Gaius’ Seite kämpfen zu können. Sie waren nicht nur Freunde und Waffenbrüder. Sie waren richtige Brüder, über die Artgrenzen hinweg.
»Ich denke, dass die Südländerin recht hat, was Agrippina angeht.«
»Sie ist verrückt, Gaius. Wie kannst du etwas glauben, das diese Frau sagt?«
»Weil Aggie meine Schwester ist. Wir sind aus demselben Ei geschlüpft. Und jeden Tag spüre ich, wie sie stirbt. Stück für Stück. In ihrem Innern. Selbst wenn sie eines Tages aus dem Kerker unseres Onkels herausspazieren würde, wäre sie bloß noch ein wandelnder Leichnam. Sie wäre nicht mehr meine Aggie.«
»Dann greifen wir an. Jetzt. Noch heute Nacht.«
»Wir kämen höchstens bis zum Vordertor, und Vateria würde Aggie vor unseren Augen kreuzigen. Die Götter wissen, wie sehr Vateria sich das wünscht. Aber sie weiß auch, dass ich nur deshalb während Thracius’ Abwesenheit nichts unternommen habe, weil Aggie noch lebt.« Gaius verwandelte sich in seine Menschengestalt und setzte sich neben seinen Freund, nachdem er sich Hose und Stiefel angezogen hatte.
»Es gibt noch einen anderen Weg«, sagte Varro, dessen Stimme fast zu einem Flüstern geworden war, als würde er sich seiner Worte schämen. »Wir haben jetzt etwas, das Vateria haben will – das sie sogar braucht.«
Gaius schüttelte den Kopf. »Ich bin zwar ein Bastard, Varro, aber ein so großer Bastard bin ich nun doch wieder nicht.«
»Ja, aber …«
»Wenn wir Annwyl an Vateria auslieferten, bekäme diese Schlange genau das, was sie haben will. Das kann ich nicht. Das werde ich nicht tun.«
»Nicht einmal für Aggie?«
»Das tue ich für Aggie. Es gibt einiges, was sie mir nie vergeben würde. Vateria irgendetwas zu geben, gehört eindeutig dazu.«
Die beiden sahen einander an. Dann beugten sie sich so weit vor, dass sie an
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