Dragon Touch
geschlossen hatte, sah
Dagmar die Erleichterung in Morfyds Gesicht beim Anblick ihrer Mutter. Sie
entfernte sich ein bisschen vom Bett und bedeutete ihrer Mutter, näher zu
kommen. Die beiden begannen leise zu flüstern, während Talaith Annwyls Hand
hielt und ihr den Schweiß von der Stirn wischte. Drei andere Heilerinnen
arbeiteten mit Kräutern und Wurzeln und stellten verschiedene Tränke zusammen,
von denen sie hofften, sie würden helfen.
Dagmar blickte auf Annwyl hinab und fror plötzlich am
ganzen Körper. Die starke – wenn auch weinende – Frau, die sie erst gestern in
der Bibliothek kennengelernt hatte, war fort. Alles, was übrig blieb, war ein
blasser, schweißbedeckter Körper, der in durchnässten Fellen lag. Das einzige
Lebenszeichen war, wenn ihr Körper sich versteifte, wenn eine erneute
Schmerzwelle über sie hinwegspülte. Das dauerte ungefähr zwanzig Sekunden, dann
lag sie wieder still.
Zum ersten Mal seit Jahren dachte Dagmar an ihre eigene
Mutter. Hatte sie so ausgesehen, bevor Dagmar schreiend auf die Welt gekommen
war? War sie Sigmar auch so schwach und dem Tode nahe vorgekommen? Und würden
diese Kinder sich auch ihr Leben lang die Schuld am Tod ihrer Mutter geben, wie
es Dagmar heimlich tat?
Würden sie recht damit haben?
Die Drachenkönigin verließ ihre Tochter und gesellte sich
zu Talaith. Sie nahm Annwyls Hand aus der von Briecs Gefährtin und schloss die
Augen. Dagmar hatte keine Ahnung, wie lange die Königin so dastand. Ein paar
Sekunden, Minuten, Tage? Sie wusste es nicht. Sie drängten sich alle um das
Bett und warteten, dass sie etwas sagte. Irgendetwas.
Doch sie musste kein Wort sagen. Nicht, als sie ihre Augen
öffnete. Diese blauen Augen, die nur Minuten zuvor, als sie Dagmar angesehen
hatten, so kalt gewesen waren, erschienen jetzt … am Boden zerstört. Sie war am
Boden zerstört. Am Boden zerstört, weil sie absolut nichts tun konnte.
Dagmar wusste es sogar, bevor Talaith sich abwandte und
zum Fenster ging. Noch bevor Morfyd den Kopf schüttelte und sagte: »Nein,
Mutter. Du musst etwas tun. Es muss etwas geben.«
Die Königin legte behutsam Annwyls Arm aufs Bett. »Du
weißt schon, dass ich nichts tun kann. Und du auch nicht. Nichts außer einer
Sache.«
»Nein.« Tränen rannen ungehindert über Morfyds Wangen, als
sie sich von dem Bett und ihrer Mutter entfernte. »Nein. Ich werde es nicht
tun.«
»Sag ihr, was sie dir gesagt hat, Nordländerin.«
Dagmars Kopf schoss hoch, und sowohl Talaith als auch
Morfyd drehten sich um und starrten sie an. »Meine Herrin, ich …«
»Jetzt ist keine Zeit für Spielchen, Mädchen. Tatsächlich
läuft uns die Zeit sogar recht schnell davon, also sag es ihnen. Sag ihnen, was
sie dir und Bercelak gesagt hat, als ihr sie aus den Ställen hergebracht habt.
Sag ihnen, welches Versprechen sie euch abgenommen hat.«
Dagmar hatte nichts von dem sagen wollen, was Annwyl
gesagt hatte, in der Hoffnung, es seien nur die Worte einer verängstigten
Erstgebärenden gewesen. Und als Bercelak auf Annwyls Worte hin nur gegrunzt
hatte, hatte Dagmar angenommen, er würde ebenfalls nichts sagen. Und vielleicht
hatte er das auch nicht. Vielleicht kannte ihn seine Gefährtin so gut, dass er
kein Wort sagen musste und sie trotzdem die Wahrheit erkannte.
Dagmar räusperte sich und wünschte sich zum ersten Mal
seit Tagen, wieder zu Hause bei ihren idiotischen Schwägerinnen und ihren
gefährlich dummen Brüdern zu sein.
»Sie … ähm … Sie hat uns gesagt, egal, was passiert, ihr
müsst die Babys retten. Selbst wenn es ihren eigenen Tod bedeutet, sollt ihr
die Babys retten.«
Morfyd senkte den Kopf, während Talaiths Blick zur Decke
ging.
»Sie kennt den Preis«, erklärte die Drachenkönigin. »Sie
weiß es und hat ihre Entscheidung getroffen. Wir können das nicht ignorieren.«
»Aber Fearghus …«
»Er muss es wissen, bevor wir anfangen.« Die Königin
nickte. »Ich werde es ihm sagen.«
»Nein.« Morfyd wischte sich das Gesicht mit den Handflächen
ab. »Ich sage es ihm.« Sie ging zur Tür, hielt aber noch einmal inne, um den
Heilerinnen zu sagen: »Bereitet alles vor, was wir brauchen.«
Gwenvael blickte von seinem Platz am Boden auf, als die
Tür sich langsam knarrend öffnete und Morfyd heraustrat. Sie hielt den Blick
gesenkt und streckte sofort die Hand nach Fearghus aus. Sie nahm seine Hand,
ging mit ihm ein Stück den Flur entlang und zog ihn in den Türeingang eines
unbenutzten Raums ganz am Ende.
Die anderen standen
Weitere Kostenlose Bücher