Dragon Touch
idiotischer Sohn und seine menschliche Gefährtin.«
Addolgar verschränkte die Arme vor der Brust. »Hast du
inzwischen nicht zwei Sprösslinge mit diesem Makel?«
Bercelak entblößte einen Reißzahn, während das Gelächter
seines Bruders durch das ganze Lager schallte.
»Wo gehen wir jetzt hin?«, fragte Gwenvael und sah sich in
der Gasse um, in die sie gerade hinausgetreten waren.
»Zur Großen Bibliothek.« Dagmar schloss die Hintertür der
Schneiderei hinter sich. »Ich muss jemanden finden.«
»Wen?«
»Einen Freund.«
»Hat er auch einen Namen?«
»Warum nicht?«
»Hast du vor, ihn mir zu verraten?«
»Warum musst du das wissen?«
»Warum sollte ich es nicht wissen müssen?«
Dagmar hob die Hände, um ihn und sich selbst zu stoppen.
»Die Vernunft weiß, dass wir das den ganzen Tag machen könnten.« Sehr wahr. Er
könnte ihr Fragen stellen, bis ihre schwachen kleinen Augen bluteten. »Aber wir
verschwenden Zeit. Ich muss eine großartige Bibliothek besichtigen, und du
musst zu deiner geliebten Königin zurück.«
»Richtig, aber du schuldest mir immer noch Informationen.«
»Die wirst du bekommen, sobald ich hier fertig bin und du
mich zu Gestur gebracht hast.« Sie hob ihre Röcke ein wenig und ging davon,
eingehüllt in ihren Hochmut wie in einen Umhang.
»Versnobte Ziege«, murmelte er, als er dachte, sie könne
es nicht mehr hören.
Dass sie das, was ihren Augen fehlte, durch ihr Gehör
ausglich, wurde ihm schnell klar, als sie auf dem Absatz herumwirbelte und ihm
den Mittelfinger zeigte, bevor sie sich schnell wieder zurückdrehte. Sie ließ
keinen Schritt aus und war aus der Gasse heraus, bevor Gwenvael sich versah.
»Und ziemlich ruppig noch dazu!«, rief er hinter ihr her.
12 Die
Große Bibliothek von Spikenhammer übertraf mit ihren Marmorsäulen und –böden
und den unendlichen Reihen von ausnehmend schön gefertigten, deckenhohen
Bücherregalen Dagmars Vorstellungen sogar noch. Fast die gesamte Regalfläche
war mit Büchern aus allen Teilen der Nordländer, Südländer und dem Westen
gefüllt. Der Osten war weniger vertreten, da ein gewaltiges und äußerst
temperamentvolles Meer sie davon trennte.
»Geht’s dir gut?«
»Ist das nicht unglaublich?«, seufzte sie.
Gwenvael zuckte die Achseln. »Sind doch nur Bücher.«
»Das sind nicht nur Bücher, du Kretin. Das ist Wissen!«
»Nicht das Wissen, das man täglich gebrauchen kann. Das
erlangt man, wenn man mit Leuten redet. Wenn man sie in den Schenken und auf
dem Markt anquatscht.«
»Widersprichst du mir mit Absicht?«
»Ich wusste nicht, dass ich widerspreche. Ich dachte, wir
hätten eine Unterhaltung.«
»Eigentlich nicht.« Sie machte einen Schritt von ihm weg
und ihre Finger glitten über die großen Marmortische, auf denen aufgeschlagen
übergroße Bücher lagen, die jeder nach Belieben studieren konnte. »Wenn ich als
Mann geboren worden wäre … Das wäre mein Traum gewesen. Den ganzen Tag, die
ganze Nacht mit nichts als Büchern.«
Er schüttelte den Kopf. »Du bist so eine Lügnerin.«
Beleidigt, dass das so schnell aus ihm herausgeplatzt war,
drehte sie sich zu ihm um. »Wie bitte?«
»Willst du mir wirklich erzählen, dass du hier eingeschlossen
glücklich wärst? Mit all diesen schweigenden, langweiligen Büchereimönchen und
ihren Leidensgelübden? Lady Dagmar, wir wissen beide, dass das kein Leben für dich
wäre.«
»Ach ja? Und was dann?«
Er machte einen Schritt und war jetzt nur noch wenige
Zentimeter von ihr entfernt. »Ränke schmieden, planen, verhandeln und – sehr
oft – lügen.«
Dagmar machte den Mund auf, um ihm zu widersprechen, doch
er stoppte sie mit einer erhobenen Hand. »Ich rede nicht von der Art von Lügen,
wie deine Schwägerin sie erzählt. Sie würde die Wahrheit nicht einmal erkennen,
wenn man sie ihr in den erst kürzlich missbrauchten Hintern rammen würde.«
Dagmar lachte, hörte aber sofort auf, als einer der Mönche ihr einen bösen,
warnenden Blick zuwarf. »Ich spreche von der Fähigkeit, die Wahrheit und Fakten
erfolgreich so zu handhaben, dass du bekommst, was du brauchst. Und das, Lady
Vernunft, ist eine Gabe.«
»Ich muss sagen, dass ich vorher noch nie so hübsch
verpackt beleidigt wurde.«
Er strahlte. »Und das ist meine Gabe.«
Sie lachten jetzt gemeinsam und ignorierten die Blicke der
Mönche, bis einer der älteren zu ihnen gestürmt kam, mit der flachen Hand auf
den Marmortisch schlug und sie beide damit erschreckte.
»Vielleicht«, erklärte Gwenvael
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