Dragon Touch
großen Wagen voller
Bücher. Bücher für sie.
»Bruder Ragnar.« Sie neigte respektvoll den Kopf.
»Lady Dagmar. Es ist so schön, dich zu sehen, Liebes.«
Bruder Ragnar, schon seit vielen Jahren Mönch in dem
rätselhaften und selten in die Öffentlichkeit tretenden Orden des
Kriegshammers, brachte Dagmar schon Bücher, seit sie zehn war. Es war das
Einzige in der Festung ihres Vaters und den umgebenden Dörfern, das dafür
sorgte, dass sie nicht den Verstand verlor: friedliche Reisende, die immer
nützliche Informationen für sie hatten. Bruder Ragnar war ihr definitiv der
liebste unter allen regelmäßigen Besuchern, aber sie hatte im Lauf der Jahre
viele kennengelernt und gesprochen – die meisten von ihnen Mönche und Gelehrte
– und viel über eine Welt gelernt, die sie nie gesehen hatte. Sie brachten ihr
Bücher, Klatsch und Neuigkeiten, die sie oft benutzte, um ihrem Vater und ihrem
Volk zu helfen, aber es war Bruder Ragnar, der ihr Unterricht im Lesen,
Schreiben und Verhandeln gegeben hatte.
Er hatte ihr von Anfang an viel beigebracht und ihr
gezeigt, wie sie von ihren Verwandten bekommen konnte, was sie wollte, ohne
dass es jemand merkte. »Warum ein Rammbock sein, mein Liebes, wenn du einfach
an die Tür klopfen und eingelassen werden kannst?«
Er hatte natürlich recht gehabt. Wie immer.
Dagmar nahm seinen rechten Arm, denn in seiner linken Hand
hielt er seinen Wanderstab. Sie konnte wegen der Kapuze seiner Kutte, die er
immer trug, nie viel von seinem Gesicht sehen, doch dem Klang und der Kraft
seiner Stimme nach bezweifelte sie, dass er sehr alt war. Und obwohl er schwer
verwundet worden, sein Körper gebrochen und schwach war, hatte er nichts von
seinem Wesen verloren. Die Augen, die sie aus der Dunkelheit seiner Kapuze
ansahen, waren von einem strahlenden Blau mit seltsamen silbernen Flecken auf
der Iris und immer fröhlich und aufgeweckt.
Sein Ordensgelübde zwang Bruder Ragnar, selbst mit seinem
kaputten Körper alle Wege zu Fuß zu machen, obwohl sie ihm mehr als einmal
angeboten hatte, ihm ein Pferd zu kaufen. Doch es gehörte zu den Opfern, die
Mönche aller Orden bringen mussten, was Dagmar nie verstehen würde – war das
Leben nicht schwierig und schmerzhaft genug, auch ohne zusätzliches Elend?
»Ich bin so froh, dich zu sehen, Bruder.« Sie drückte
seine behandschuhte Hand. »Du siehst gut aus.«
»Es ist immer noch schön, unterwegs zu sein. Auch wenn ich
mich nicht gerade auf den Winter freue.« Der Winter in den Nordländern war für
sie alle eine schwere Zeit, und nur die Wackersten – oder Dümmsten – zogen
durch die Winterstürme ins Land der Reinholdts.
»Aber jetzt bist du ja hier. Und wir haben viel zu besprechen.«
»Ja, das haben wir.« Er machte eine Geste zu dem Wagen
hin. »Und ich habe dir ein paar wunderbare neue Bücher mitgebracht, die du
sicher mögen wirst.«
Sie warf einen Blick auf den Wagen und lächelte. »Du bringst
mir die besten Geschenke.«
Indem sie Bruder Ragnars Hand auf ihren Arm legte, führte
sie ihn und seine Gefährten in die Haupthalle, um ihnen warmen Wein und etwas
zu essen anzubieten. »Also, Bruder … gibt es Neues von meinem Onkel?«
»Viel, leider. Es gefällt mir nicht, Dagmar. Es gefällt
mir ganz und gar nicht.«
»Das wird mir genauso gehen, da bin ich sicher.«
»Hast du der Königin der Südländer eine Nachricht
geschickt, wie ich dir geraten habe?«
»Ja, aber mein Vater war nicht sonderlich begeistert.«
»Sie ist eine Frau«, stichelte er. »Ihre Schwäche ist
offensichtlich.«
»Aber ihr Ruf, Bruder …«
»Ich weiß. Sie ist vollkommen verrückt, aber sie hat fast
hundert Legionen zur Verfügung, Mylady. Stell dir vor, was auch nur eine Legion
tun könnte, um deinem Vater zu helfen.«
»Aber wenn sie so völlig wahnsinnig ist, wie jeder sagt,
wird sie dann überhaupt verstehen, in welcher Gefahr sie schwebt?«
»Mylady, die meisten Monarchen der Südländer sind ziemlich
irre. Aber sie sind immer von den verlässlichsten und schlauesten Köpfen
unserer Zeit umgeben. Königin Annwyl wird da keine Ausnahme sein.« Er drückte
leicht ihre Hand. »Keine Sorge, Mylady. Falls die Königin nicht selbst kommt,
habe ich keine Zweifel, dass sie an ihrer statt nur ihren angesehensten Stellvertreter
schicken wird.«
2 Wie lange soll ein Drache meines Formats noch ohne ein warmes weibliches Wesen
überleben?
Seit Tagen reiste er nun schon durch die kalten und
unerbittlichen Nordländer, über Ozeane der Verzweiflung,
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