Drahtzieher - Knobels siebter Fall
könne, und bat darum, dass er seine Mandantschaft möglichst nicht mitbringen solle. Stephan merkte, dass die aktuellen Erkenntnisse die Ermittlungsbehörde in eine neue Richtung denken ließ. Sie verabredeten sich für 18 Uhr im Polizeipräsidium Recklinghausen.
Unmittelbar nach seinem Telefonat mit Schreiber meldete sich Anne van Eyck bei Stephan. Sie hatte die Antwort des Vorstandsvorsitzenden von ThyssenKrupp gelesen.
»Ich habe nichts anderes erwartet«, resümierte sie. »Allerdings habe ich den Eindruck, dass wir Dr. Fyhre auf die Nerven gefallen sind. Ich wünsche also, dass wir nicht mehr an ihn herantreten«, sagte sie. »Es liegt auf der Hand, dass wir uns lächerlich machen und das Andenken an Lieke beschädigt wird. – Versprechen Sie mir das, Herr Knobel?«
Stephan verstand seine Mandantin. Er versprach es.
Als Stephan mit Marie zur vereinbarten Zeit in Schreibers Büro erschien, hatte er weder die van Eycks noch Wanninger von den Neuigkeiten unterrichtet, die in der Tat eine Wende bedeuteten. Erstmals gab es ein nachweisbares Bindeglied zwischen Liekes letzter Autofahrt und den Einbrüchen, und es lag nahe, dass diese auch mit ihrem Tod in Verbindung standen. Stephan hatte die van Eycks nicht unterrichtet, weil er nichts über ein Beweisstück sagen wollte, dessen Aussagekraft er bis dahin bezweifelt hatte. Zum anderen störte ihn, dass Anne van Eyck ihm nichts darüber erzählt hatte, dass sie das Autowrack auf dem Schrottplatz von Hendryk Swentowski geparkt hatte. So nachvollziehbar es war, das Fahrzeug als möglichen Spurenträger vor einer Vernichtung zu bewahren, so wenig verständlich erschien, dass sie ausgerechnet hiervon Stephan nicht in Kenntnis gesetzt hatte. Stephan hatte es auch unterlassen, Gisbert Wanninger zu unterrichten, dessen zunächst so kühn erscheinende Theorie, wonach alle rätselhaften Vorgänge miteinander verknüpft seien, unerwartet ihre Bestätigung erfuhr und deshalb zu erwarten stand, dass er sich aufgedrängt und darauf bestanden hätte, Marie und Stephan ins Polizeipräsidium zu begleiten. Sie erhofften sich von dem Gespräch mit Schreiber eine nüchterne Zwischenbilanz jenseits der Thesen und Schlussfolgerungen, die Stephans Mandantschaft und Wanninger anstellten. Erstmals schien es greifbare Resultate zu geben.
Das Dienstgebäude wirkte fast verlassen. Kriminalhauptkommissar Schreiber holte Marie und Stephan an der Pförtnerloge ab, in der ein Wachtmeister teilnahmslos auf die wechselnden Bilder auf dem Monitor sah, die von den Überwachungskameras stammten. Sie folgten Schreiber über lange und mit grauem Linoleum ausgelegte Flure, die klinisch rein im noch satten Tageslicht glänzten. Dann bat Schreiber seinen Besuch in sein Dienstzimmer, in dem er Marie und Stephan mit Staatsanwalt Bekim Ylberi bekannt machen wollte, den sie jedoch schon aus einem früheren Fall kannten. Ylberi hatte die Akte zu Liekes Unfalltod auf den runden Besprechungstisch gelegt.
Marie und Stephan freuten sich über die unerwartete Anwesenheit von Bekim Ylberi, und er erwiderte diese Sympathie mit dem ihm eigenen feinen Lächeln, das schnell vergessen ließ, dass er in seiner Behörde als scharfsinniger Analytiker galt, dem eine steile Beamtenkarriere vorausgesagt wurde, die er unmittelbar nach dem Ende seines Jurastudiums und der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit begonnen und erfolgreich vorangetrieben hatte. Nach nur wenigen Dienstjahren als Staatsanwalt in Dortmund war kürzlich er zum Oberstaatsanwalt ernannt worden und leitete in Essen ein Dezernat für Tötungsdelikte.
Hauptkommissar Schreiber eröffnete die Besprechung und begann mit einer Zusammenfassung der bisherigen Ermittlungsergebnisse, die in den beabsichtigten Gedankenaustausch überleiten sollte.
»Ich möchte Ihnen vorab dafür danken, Herr Rechtsanwalt Knobel, dass Sie davon abgesehen haben, Ihre Mandantin zu dieser Besprechung mitzubringen«, eröffnete er. »Selbstverständlich respektiere ich Ihre verfahrensrechtliche Rolle«, erläuterte Schreiber, »aber es scheint mir sinnvoll, quasi informell in dieser Runde tiefer in diese beiden Fälle einzusteigen, die nach neuen Erkenntnissen vielleicht ein einziger Fall sind. Deshalb habe ich Herrn Ylberi hinzugebeten. Ich darf Sie zunächst um Vertraulichkeit bitten, was den Inhalt dieses Gesprächs angeht, soweit Sie dies mit der Vertretung von Anne van Eyck vereinbaren können.«
Stephan nickte.
Staatsanwalt Bekim Ylberi war elegant gekleidet. So hatten
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