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Drahtzieher - Knobels siebter Fall

Drahtzieher - Knobels siebter Fall

Titel: Drahtzieher - Knobels siebter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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könnte der Wischer ein Beweisstück in der Einbruchssache sein. – Und er führt uns vielleicht zu dem Unbekannten, mit dem sich Lieke getroffen hat.«
    Marie bat Swentowski um eine Plastiktüte, die er aus einer nahen Baracke zwischen gestapelten Schrottfahrzeugen besorgte. Er schaute verwundert zu, wie Marie den Wischer mit einem Papiertaschentuch vorsichtig am Gummi der Wischlippe hochhob und in die Plastiktüte gleiten ließ.
    »Werden Sie davon der Schwester der Fahrerin erzählen?«, fragte er.
    »Sicher«, sagte Stephan. »Sie wissen doch, dass ich die Frau van Eyck vertrete.«
    »Ja, schon, aber es hört sich irgendwie so geheimnisvoll an«, entgegnete er. »Da steht dieses Auto monatelang hier rum, ohne dass sich jemand dafür interessiert. Und plötzlich ist alles anders.«
    Swentowski knetete die Hände und wirkte eigenartig unbeholfen. Der Schrotthändler, der jeden Tag das Grobe erledigte, wich verstört vor den filigranen Schlussfolgerungen zurück, die Marie leicht über die Lippen gingen.
    Er schloss den Kofferraum des Autos leise und entfaltete wieder die Plane, die er behutsam über das Auto zog und unterhalb des Chassis festzurrte. Swentowski folgte Marie und Stephan bis zu dem verrosteten Schiebetor an der Zufahrt zu seinem Firmengelände.
    »Manchmal spricht man von Autofriedhöfen«, sagte er zum Abschied. »Der Begriff hat mich nie berührt.«
    Er redete nicht weiter und reichte Marie und Stephan die Hand. Es war der kräftige Händedruck eines Mannes, der auf diese Weise Geschäfte besiegelte und sie handwerklich erledigte. Jetzt symbolisierte der Händedruck sein Vertrauen, dass er ein Geheimnis, das auf seinem Autofriedhof verborgen war, in andere Hände gegeben hatte, in denen er es gut aufgehoben wusste. Er ging unwirklich zärtlich damit um. Swentowski winkte, als Stephan und Marie ins Auto stiegen. Hinter ihm packten die stählernen Zähne des Greifers einer seiner schweren Maschinen in ein unversehrt scheinendes Auto und hoben es wie Spielzeug hoch. Einige Glassplitter fielen im Licht der tief stehenden Sonne glitzernd wie Funkenregen auf die Erde. Im Hintergrund zog ein Gewitter auf. Die weißen Kühltürme des Kraftwerks in Herne-Baukau und der hohe schlanke Schornstein hoben sich wie pittoreske marmorne Statuen vor dem dunklen Himmel ab.
    Marie und Stephan nahmen den Weg zurück nach Dortmund über die Autobahn. Sie hatten sich versprochen, nach dem Besuch ins Grüne zu fahren. Sie suchten Einhalt, wollten durchatmen und sich auf sich besinnen. Das aufziehende Unwetter verbat vernünftigerweise, daran nur einen Gedanken zu verschwenden. Doch keiner von ihnen sagte etwas. Es war an der Zeit, endlich das zu tun, was sie sich vorgenommen hatten, und die verabredete Fahrt ins Grüne war in Wirklichkeit eine Flucht, symbolisierte den längst fälligen Ausbruch aus dem Alltag, der sich ihrer bemächtigte und drohte, sie in ihrer Liebe zueinander zu beschneiden und zu ersticken. Sie erlagen einem hämmernden Takt, der das Herzklopfen überdröhnte, die Planung der nächsten Stunde, des nächsten Tages verlangte und keine Zeit für das Wichtige ließ. Der Himmel färbte sich schwarz und grau. Die Gewitterwolken wucherten zu monströsen Gebilden, ihre wabernden Konturen zu einer giftig aufgeladenen Masse.
    Sie parkten das Auto oberhalb von Bodelschwingh an dem kleinen Friedhof. Sie standen auf der Anhöhe, in der Stephan in seiner Kindheit mit den Eltern einmal rodeln war, als er mit ihnen seine Tante besucht hatte, die hier wohnte. Sie war Witwe eines Bergmanns, der sein Berufsleben unter Tage auf der Zeche Hansa verbracht hatte. Gemeinsam machten sie damals im Schnee einen Spaziergang auf diesen Hügel, von dem aus Stephan, der wie Marie im Münsterland aufgewachsen war, zum ersten Mal einen Eindruck von der Stadt bekam, in der seine Tante wohnte. Aus Kinderaugen erschien dieser Höhenzug mit seinen Feldern und ausgedehnten Waldflächen viel höher, als er war, aber man konnte von hier tatsächlich in die Ferne und über die ganze Stadt schauen, in der Kokereien und Stahlwerke ihre Blicke auf sich zogen, dunkelbraune Gebilde mit qualmenden Schloten, die in einem weiten Tal verstreut schienen, ebenso einige Gasometer, die wie große graue Dosen aussahen. Es gab Zechen, deren Fördertürme aus dieser Perspektive wie spielzeugartige Turngeräte erschienen. Die dominierenden Farben in Stephans Erinnerung an diesen Tag waren Grau, Braun und Weiß. Die Stadt war grau, die Industrieklötze

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