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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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Klavierauszug zur Hand; geht nach links. – Es klopft:
    Herein!
Fünfter Auftritt
    Gerardo. Der Hoteldiener
    Der Hoteldiener
keuchend und atemlos eintretend:
    Befehlen, Herr – Kammersänger…
    Gerardo:
    Stehen Sie am Haustor?
    Der Hoteldiener:
    Augenblicklich nicht.
    Gerardo:
    Das merk' ich – Dummkopf! Aber Sie lassen niemanden herauf?
    Der Hoteldiener:
    Es waren drei Damen da und fragten nach Herrn Kammersänger.
    Gerardo:
    Unterstehen Sie sich nicht, eine heraufzulassen – sage sie, was sie wolle!
    Der Hoteldiener:
    Und dann sind die Briefe gekommen.
    Gerardo:
    Ja – schon gut.
    Der Hoteldiener legt die Briefe in die Schale.
    Gerardo:
    Unterstehen Sie sich nicht, eine herauf zulassen!
    Der Hoteldiener
in der Tür:
    Sehr wohl, Herr Kammersänger.
    Gerardo:
    Und wenn sie Ihnen eine lebenslängliche Leibrente dafür aussetzen will!
    Der Hoteldiener:
    Sehr wohl.
(Ab.)
Sechster Auttritt
    Gerardo
allein, versucht zu singen:
    »Isolde! Geliebte! – Bist du …«
    Ich begriffe es, wenn die Frauen meiner endlich satt würden! – Aber die Welt hat ihrer so viele! – Und ich bin allein. – Jeder trägt sein Joch und muß es tragen! – Geht ans Piano und schlägt zwei Terzen an.
Siebenter Auftritt
    Gerardo. Professor Dühring. Dann eine Klavierlehrerin
    Prof. Dühring, siebzig Jahre alt, ganz in Schwarz, langer, weiter Bart, weingerötete Adlernase, goldene Brille, Gehrock und Zylinder, eine Opernpartitur unter dem Arm, tritt ein, ohne anzuklopfen.
    Gerardo
sich zurückwendend:
    Was wollen Sie!!
    Dühring:
    Herr Kammersänger, ich – ich habe …
    Gerardo:
    Wie kommen Sie hier herein!
    Dühring:
    Ich habe zwei Stunden unten auf dem Trottoir gelauert, Herr Kammersänger.
    Gerardo
sich besinnend:
    Ach, Sie sind …
    Dühring:
    Zwei volle Stunden habe ich unten auf dem Trottoir gestanden. Was soll ich anderes tun!
    Gerardo:
    Aber liebster, bester Herr, ich habe keine Zeit.
    Dühring:
    Ich will Ihnen jetzt nicht die ganze Oper durchspielen.
    Gerardo:
    Ich habe auch gar keine Zeit mehr dazu …
    Dühring:
    Sie haben keine Zeit! Was soll ich denn sagen! Sie sind dreißig Jahre alt. Sehen Sie, Sie haben Glück gehabt in der Kunst. Sie können sich ausleben noch ein ganzes Leben lang, das vor Ihnen liegt. Hören Sie sich nur Ihre Rolle in der Oper an. Sie haben es mir doch versprochen, als Sie herkamen.
    Gerardo:
    Was hilft mir das. Ich bin nicht mein eigener Her r…
    Dühring:
    Ich bitte Sie, ich bitte Sie, mein Herr, ich bitte Sie! Sehen Sie, hier liegt ein Greis vor Ihnen, auf den Knien, der nichts anderes auf der Welt gekannt hat als seine Kunst. Ich weiß, was Sie mir entgegnen, als junger Mann, der wie auf Engelsschwingen emporgehoben ward. Man darf das Glück nicht suchen, wenn es einen finden soll. Glauben Sie, wenn man fünfzig Jahre lang nur einen Gedanken hat, man könnte ein menschliches Mittel anzuwenden vergessen haben? Man wird ein frivoler Mensch, und dann wird man wieder ein ernster Mensch; man ist Streber gewesen, man ist ein leichtherziges Kind gewesen. und man wird wieder ein ernster Künstler – nicht aus Ehrgeiz, nicht aus Überzeugung, sondern weil man nicht anders kann, weil man dazu verflucht und verdammt ist von einer grausamen Allmacht, der der lebenslängliche Todeskampf ihrer Kreatur ein wohlgefälliges Opfer ist! Ein wohlgefälliges Opfer, sage ich, denn unsereiner empört sich so wenig gegen sein Künstlerlos, wie ein Weiberknecht gegen seine Verführerin, wie der Hund, der die Peitsche bekommt, gegen seinen Herrn.
    Gerardo
verzweifelt:
    Ich bin machtlos …
    Dühring:
    Sehen Sie, mein lieber Herr, die Tyrannen des Altertums, Sie wissen, die ihre Sklaven zu ihrer Unterhaltung langsam zu Tode foltern ließen, das waren Kinder, das waren harmlose, unschuldige Engelskinder gegenüber der himmlischen Vorsehung, die diese Tyrannen zu ihrem Ebenbild hat schaffen wollen!
    Gerardo:
    Ich begreife Sie ja vollkommen …
    Dühring
während ihn Gerardo mehrmals vergeblich zu unterbrechen sucht, ihm durch das Zimmer folgend und ihm wiederholt den Weg zur Tür vertretend:
    Sie begreifen mich nicht. Sie können mich nicht begreifen. Wo hätten Sie denn die Zeit hernehmen wollen, um mich zu begreifen. Fünfzig Jahre fruchtloser Arbeit, mein Herr, begreifen sich nicht, wenn man ein Lieblingskind des Glückes ist wie Sie. Aber ich will Ihnen ein annäherndes Verständnis zu geben suchen. Sehen Sie, ich bin zu alt, um mir noch das Leben zu nehmen. Das tut man mit fünfundzwanzig Jahren, und da habe

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