Dramen
geschrieben. Ich habe eine alte Oper geschrieben. Ich habe die Oper vor dreizehn Jahren geschrieben. – Es war nicht diese hier, es war meine »Maria de' Medici«. – Aber warum bringen Sie sie uns denn nicht her? Wir suchen ja was Neues. Wir können uns ja mit dem Alten nicht länger durchschwindeln. Mein Sekretär reist an allen Bühnen herum, ohne daß er was findet, und Sie, der Sie hier leben, Sie entziehen uns Ihre Produktion in vornehmer Weltverachtung! – Exzellenz, sage ich, ich entziehe niemandem etwas, der Himmel ist mein Zeuge. Ich habe die Oper vor dreizehn Jahren Ihrem Vorgänger, dem Grafen Tornow, eingereicht und mußte sie nach drei Jahren selber wieder von der Intendanz abholen, ohne daß jemand einen Blick hineingetan hätte. – Aber so lassen Sie sie uns doch hier, bester Herr Professor. In acht Tagen spätestens haben Sie Bescheid. – Und dabei nimmt er mir meine Partitur unter dem Arm weg und feuert sie – schrumm! – unten in die unterste Tischlade hinein, und da liegt sie noch heute! Da liegt sie noch heute, mein Herr! Ich weißhaariges Kind sage noch zu Hause zu meiner Grete: Man braucht eine neue Oper hier am Theater. Ich bin schon so gut wie aufgeführt! – Ein Jahr vergeht und sie stirbt mir weg – die einzige, die noch ihre Entstehungszeit miterlebt hatte.
Schluchzt und trocknet seine Tränen.
Gerardo:
Ich muß das lebhafteste Bedauern mit Ihnen haben, aber …
Dühring:
Da liegt sie noch heute!
Gerardo:
Vielleicht sind Sie wirklich das Kind in weißen Haaren. Ich zweifle in der Tat daran, daß ich Ihnen helfen kann.
Dühring
in höchster Wut:
Aber Sie können einen Greis wie mich auf demselben Pfad, auf dem Sie Ihren Siegesflug zur Sonne tun, neben sich her ächzen sehen! Morgen vielleicht liegen Sie vor mir auf den Knien und rühmen sich, mich zu kennen , und heute ist Ihnen des schaffenden Künstlers qualvolles Röcheln ein trauriger Irrtum , und Sie können Ihrer Goldgier nicht die halbe Stunde abknausern, die es bedürfte, um mich meiner Kettenlast zu entledigen!
Gerardo:
Spielen Sie bitte, mein Herr! Kommen Sie!
Dühring
setzt sich an den Flügel, öffnet seine Partitur und schlägt zwei Akkorde an:
– Nein, so heißt es nicht. Ich kann es nicht mehr recht lesen.
(Schlägt drei Akkorde an, dann weiterblätternd:)
Das ist die Ouvertüre; ich will Sie nicht damit aufhalten. – Hier, sehen Sie, erste Szene …
(Schlägt zwei Akkorde an.)
Hier stehen Sie am Totenbett Ihres Vaters! – Einen Augenblick; ich muß mich erst zurechtfinden …
Gerardo:
Vielleicht haben Sie auch vollkommen recht. Auf jeden Fall täuschen Sie sich über meine Stellung.
Dühring
spielt eine wirre Orchestration und singt dazu mit tiefer schnarrender Stimme:
Der Tod, der Tod, auch hier im Schlosse,
wie er in unseren Hütten hauset!
So mäht er groß wie klein …
(Sich unterbrechend:)
Nein, das ist der Chor. Ich wollte Ihnen den nur vorspielen, weil er sehr gut ist. Jetzt kommen Sie .
(Setzt mit der Begleitung wieder ein und singt krächzend:)
Was ich gelebt bis zu dieser Stunde, war Morgengrauen.
Von tückischen Geistern aufs Blut gefoltert,
irrt ich umher. Mein Aug' ist tränenleer!
Laß mich nur einmal noch die weißen Haare küssen…
(Sich unterbrechend:)
Nun?!
(Da Gerardo nicht antwortet, in wilder Gereiztheit:)
Diese blutarmen, fadenscheinigen Ochsengenies , die sich heute breitmachen! Die vor lauter sublimer Technik mit zwanzig Jahren steril, impotent geworden! Meistersinger , Philisterseelen , ob im Elend oder in Amt und Würden! Stillen den Hunger aus dem Kochbuch statt aus der Natur! Haben es ihr glücklich abgelauscht – Naivität ! Ha, ha! – Schmeckt wie plattiertes Messingbesteck! Fangen damit an, Kunst zu machen statt Leben ! – Musizieren für Künstler statt für hungrige Menschen! – Blinde, beschränkte Eintagsfliegen! Jugendliche Greise, denen die Sonne Wagners das Mark aus den Knochen gesogen hat! Ihn heftig am Arm packend: Wenn ich einen Künstler vor mir habe, wissen Sie, wohin ich ihm dann zuerst greife? Gerardo weicht ängstlich zurück : Na? Dühring sich mit der rechten Hand am Handgelenk der Linken den Puls fühlend: Dann greife ich ihm vor allem hierher ! Sehen Sie, hierher ! Und wenn er hier nichts hat – bitte, hören Sie weiter. Blätternd: Ich will Ihnen den Monolog nicht fertig spielen. Wir haben ja doch keine Zeit. Hier, Szene drei, Schluß des ersten Aktes. Da kommt das Tagelöhnerkind, das mit Ihnen auf dem Schlosse aufgewachsen,
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