Dramen
Rechnen Sie einfach mit meiner Zeit ! Es haben mich gestern wenigstens zweihundert, vielleicht dreihundert hübsche, liebenswerte, junge Mädchen in Ihrem Alter in meiner Rolle als Tannhäuser auf der Bühne gesehen. Wenn nun jedes dieser jungen Mädchen dieselben Ansprüche stellen wollte wie Sie? – Was in aller Welt würde dann aus meinem Gesang? – Was würde aus meiner Stimme? – Wohin käme ich denn mit meiner Kunst?
Miß Coeurne sinkt in einen Sessel, bedeckt ihr Gesicht und weint.
Gerardo
auf der Lehne ihres Sessels, über sie gebeugt, freundlich
Sie versündigen sich, mein Kind, wenn Sie darüber weinen, daß Sie noch jung sind. Das ganze Leben liegt vor Ihnen. Gedulden Sie sich. Schätzen Sie sich vielmehr glücklich. Wie gerne begänne unsereiner – auch wenn er als Künstler lebt, gleichviel – alles das noch einmal von vorn! – Seien Sie, bitte, nicht undankbar dafür, daß Sie mich gestern gehört. Erlassen Sie mir dieses traurige Nachspiel. Trage ich die Schuld daran, daß Sie sich in mich verliebt haben? Das tun alle. Dazu bin ich ja da. Mein Impresario verlangt von mir, daß ich mich dem Publikum in dieser Erhabenheit zeige. Das Singen allein tut es nicht. Als Tannhäuser kann ich nicht anders erscheinen. – Seien Sie lieb, mein Kind. Lassen Sie mir die paar Augenblicke, die ich noch habe, für morgen.
Miss Coerne
erhebt sich, trocknet ihre Tränen:
Ich kann es mir gar nicht denken, daß ein anderes Mädchen so würde getan haben wie ich.
Gerardo
sie gegen die Tür dirigierend:
Ganz recht, mein Kind …
Miss Coerne
sich sanft sträubend, unter Schluchzen:
Wenigstens nicht – wenn …
Gerardo:
Wenn mein Diener nicht unten stände!
Miss Coerne
wie oben:
– wenn –
Gerardo:
Wenn das Mädchen so hübsch und jugendfrisch ist wie Sie!
Miss Coerne
wie oben:
– wenn –
Gerardo:
Wenn es mich nur ein einziges Mal als Tannhäuser gehört hat!
Miss Coerne
mit erneutem Anfall:
Wenn es so anständig ist wie ich!
Gerardo
auf den Flügel deutend:
Dann sehen Sie sich, mein Kind, zum Abschied die Blumen an. Sei Ihnen das eine Warnung für jden Fall, daß Sie sich noch einmal versucht fühlen, sich in einen Sänger zu verlieben. Sehen Sie, wie frisch das noch alles ist. Ich lasse sie verwelken, zugrunde gehen oder – schenke sie dem Portier. Und sehen Sie diese Briefe.
(Nimmt eine Handvoll Briefe aus der Schale.)
Ich kenne keine der Schreiberinnen; seien Sie ganz außer Sorge. Ich überlasse sie ihrem Schicksal. Was will ich anderes tun! Aber, glauben Sie mir, jede Ihrer liebenswürdigen jungen Freundinnen ist dabei.
Miss Coerne
bittend:
Well, ich will mich nicht ein zweites Mal verbergen. – Ich will es nicht wieder tun…
Gerardo:
Aber meine Zeit, mein Kind! Wenn ich nicht im Begriff wäre, abzureisen! Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß Sie mir leid tun! Aber in fünfundzwanzig Minuten geht mein Zug. Was wollen Sie denn da noch!
Miss Coeurne:
Einen Kuß.
Gerardo
sich, hoch aufrichtend:
Von mir?
Miss Coeurne:
Yes.
Gerardo
sie um die Taille haltend, mit Würde, aber freundlich:
Sie entwürdigen die Kunst, mein Kind. Sind Sie wirklich der Ansicht, daß man meine Person deshalb mit Gold aufwiegt? Werden Sie erst älter und lernen Sie etwas mehr Respekt vor der keuschen Göttin hegen, der ich mein Leben und meine Arbeit weihe. – – Sie wissen gar nicht, wen ich damit meine?
Miss Coeurne:
Nein.
Gerardo:
Das sehe ich. Ich will Ihnen, nur um nicht unmenschlich zu sein, mein Bild schenken. Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie mich dann verlassen?
Miss Coeurne:
Yes.
Gerardo:
Gut.
(Geht hinter den Tisch, eine seiner Photographien unterschreibend.)
Versuchen Sie doch, sich für die Oper zu interessieren, statt für die Männer , die auf der Bühne stehen. Wer weiß, vielleicht empfinden Sie doch einen höheren Genuß dabei.
Miss Coerne
für sich:
Ich bin noch zu jung.
Gerardo:
Opfern Sie sich der Musik ! Kommt nach vorn und gibt ihr die Photographie. Sie sind noch zu jung, aber – es gelingt Ihnen vielleicht doch. Sehen Sie in mir keinen berühmten Sänger, sondern das unwürdige Werkzeug in der Hand eines erhabenen Meisters . Blicken Sie um sich unter den verheirateten Frauen Ihrer Umgebung: Alles Wagnerianerinnen! Studieren Sie seine Texte, lernen Sie seine Leitmotive empfinden. – Das schützt Sie vor Unschicklichkeiten.
Miss Coeurne:
I thank you.
Gerardo
geleitet sie hinaus und drückt beim Hinausgehen die Kingel. Er kommt zurück und nimmt den
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