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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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ich es versäumt. Ich muß jetzt zu Ende leben, ich habe die sichere Hand nicht mehr. Aber was man in meinem Alter noch tut? Sie fragen mich, wie ich hier hereingekommen. Sie haben Ihren Diener vor die Hoteltür gestellt. Ich habe nicht versucht, vorbeizuschlüpfen, ich weiß seit fünfzig Jahren, daß er mir sagt: »Der Herr ist nicht zu Hause.« Aber ich habe zwei Stunden im Regen mit meiner Partitur hier unten an der Hausecke gestanden, bis er für einen Augenblick hinaufging. Da bin ich ihm nachgegangen, und während Sie hier drinnen mit ihm sprachen, hielt ich mich auf der Treppe verborgen – wo , brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Und dann, als er wieder hinunter war, kam ich herein. Das tut ein Mann von meinem Alter gegenüber einem, der sein Enkel sein könnte. Ich bitte Sie, ich bitte Sie, mein Herr, ich bitte Sie, lassen Sie den Moment nicht fruchtlos für mich sein, wenn er Sie auch einen Tag, wenn er Sie eine ganze Woche kostet. Es handelt sich doch auch um Ihren Vorteil. Vor acht Tagen, als Sie zu Ihrem Gastspiel hierherkamen, da versprachen Sie mir, sich die Oper von mir vorspielen zu lassen; und seither bin ich jeden Tag hiergewesen. Entweder hatten Sie Probe oder Damenbesuch. Und jetzt stehen Sie im Begriff, abzureisen, und ich alter Mann soll eine ganze Woche umsonst auf der Straße zugebracht haben! Dabei kostet es Sie ein einziges Wort: »Ich will den Hermann singen.« Dann ist die Oper aufgeführt. Dann danken Sie Gott, daß ich so zudringlich war, denn – Sie singen den Siegfried , Sie singen den Florestan – aber eine dankbarere Partie, gerade für Ihre Mittel dankbarer als den Hermann haben Sie nicht auf Ihrem Repertoir. Mich zieht man dann mit Geschrei aus dem Dunkel hervor, und ich habe vielleicht noch Gelegenheit, der Welt einen Teil dessen zu geben, was ich ihr hätte geben können, wenn sie mich nicht wie einen Aussätzigen von sich gestoßen hätte. Aber der große materielle Ertrag meines Ringens, der fällt doch nur Ihnen…«
    Gerardo
hat sich schließlich an den Kamin gelehnt und scheint, während er mit der Rechten auf der Marmorplatte trommelt, etwas hinter dem Paravent zu bemerken. Nachdem er sich neugierig orientiert, reckt er plötzlich die Hand aus und zieht eine Klavierlehrerin in grauer Toilette hervor, die er, mit vorgestreckter Faust am Kragen haltend, vor dem Flügel durch die Mitteltür führt. Nachdem er die Tür hinter ihr geschlossen, zu Dühring:
    »Bitte, sprechen Sie ruhig weiter!«
    Dühring:
    »Sehen Sie, es werden alljährlich zehn schlechte Novitäten aufgeführt, die nach der zweiten Vorstellung unmöglich geworden sind, und alle zehn Jahre einmal eine gute, die sich hält. Und diese Oper ist gut, sie ist bühnenfähig, sie ist ein Kassenerfolg. Wenn Sie wollen, ich kann Ihnen Briefe zeigen, von Liszt, von Wagner, von Rubinstein, in denen diese Männer wie zu einem höheren Wesen zu mir aufblicken. Und warum ist sie bis heute nicht aufgeführt worden? Weil ich nicht auf dem Markte stehe. Ich sage Ihnen, das ist wie bei einem jungen Mädchen, das drei Jahre auf Tanzkränzchen brilliert und sich dabei zu verloben vergißt. Es kommt eine andere Generation. Und Sie kennen ja unsere National-Theater . Das sind Festungswerke, kann ich Ihnen sagen, gegen welche die Bepanzerungen von Metz und Rastatt Botanisierbüchsen sind. Lieber graben sie zehn Leichen aus, als daß sie einen Lebendigen einlassen. Und diese Festungsmauern sind es, über die Sie mir die Hand reichen sollen. Sie sind drinnen mit dreißig Jahren, und ich alter Mann stehe draußen. Sie kostet mein Einlaß ein Wort, und ich kann mir umsonst meinen eisgrauen Schädel einrennen. Deshalb bin ich hier, sehr leidenschaftlich und wenn Sie kein völliger Unmensch sind, wenn das Glück nicht die letzte Spur künstlerischen Mitempfindens in Ihnen ertötet hat, dann können Sie mich nicht unerhört lassen.
    Gerardo:
    Ich werde Ihnen in acht Tagen Bescheid sagen. Ich werde Ihre Oper durchspielen. Geben Sie sie mir mit.
    Dühring:
    Dazu bin ich zu alt, Herr Kammersänger. In acht Tagen, nach Ihrer Zeitrechnung, liege ich längst unter dem Boden. Das habe ich zu oft erlebt.
(Mit der Faust auf den Flügel schlagend:)
Hic Rhodus, hic salta! Sehen Sie, vor fünf Jahren wende ich mich an unseren Intendanten, den Grafen Zedlitz. Was bringen Sie mir, mein liebster, bester Herr Professor? – Eine Oper, Exzellenz. – So, Sie haben eine neue Oper geschrieben. Das ist ja prächtig. – Exzellenz, ich habe keine neue Oper

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