Dramen
plötzlich zu Ihnen herein. Hören Sie – nachdem Sie von Ihrer hochgeehrten Frau Mutter schon Abschied genommen haben. In der Partitur rasch überlesend:
Dämon, wer bist du? – Darf man herein? –
(Zu Gerardo:)
Das sagt sie! –
(Liest weiter.)
Bärbel! – Ja, ich bin's. Dein Vater ist gestorben? – Dort liegt er. –
(Spielt und singt in der höchsten Fistel.)
Hat mir gar oft meine Locken gestreichelt,
wo er mich sah, war er freundlich zu mir.
O weh, das ist der Tod, die Augen sind geschlossen …
(Sich unterbrechend, Gerardo groß ansehend:)
Ist das Musik??
Gerardo:
Möglich!
Dühring
zwei Akkorde anschlagend:
Ist das nicht mehr als der »Trompeter von Säkkingen«?
Gerardo:
Ihr Vertrauen zwingt mich, aufrichtig zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie meine Verwendung für Sie von Vorteil sein sollte.
Dühring:
Sie wollen mit andern Worten damit sagen, daß es veraltete Musik ist.
Gerardo:
Im Gegenteil! Ich möchte weit eher sagen, daß es moderne Musik ist.
Dühring:
Oder daß es moderne Musik ist. Verzeihen Sie gütigst, Herr Kammersänger, daß ich mich versprochen habe. Das kann einem in meinem Alter schon passieren. Der eine Intendant schreibt: Wir können die Oper nicht geben, es ist veraltete Musik – und der andere schreibt: Wir können sie nicht geben, es ist moderne Musik. – Auf deutsch heißt das beides dasselbe: Wir wollen keine Oper von Ihnen, weil Sie als Komponist nicht in Frage kommen .
Gerardo:
Ich bin Wagnersänger, mein Herr; ich bin nicht Kritiker. Wenn Sie aufgeführt werden wollen, dann wenden Sie sich wohl am besten an diejenigen Herrschaften, die dafür bezahlt werden, daß Sie wissen, was gut und was schlecht ist. Von meinem Urteil in diesen Dingen hält man ebensowenig, davon können Sie fest überzeugt sein, wie man mich als Sänger würdigt und hochschätzt.
Dühring:
Mein lieber Herr Kammersänger, Sie dürfen mir getrost glauben, daß ich auch nichts von Ihrem Urteil halte. Was kümmert mich Ihr Urteil! Ich kenne doch die Tenoristen. Ich spiele Ihnen die Oper hier vor, damit Sie sagen: Ich will den Hermann singen! Ich will den Hermann singen!.
Gerardo:
Das hilft Ihnen nichts. Ich muß tun, was man von mir verlangt; dazu bin ich kontraktlich verpflichtet. Sie können eine Woche lang unten auf der Straße stehen. Auf einen Tag mehr oder weniger braucht es Ihnen dabei nicht anzukommen. Wenn ich mit dem nächsten Zuge nicht reise, dann bin ich für diese Welt ruiniert. Vielleicht, daß man in einer anderen Welt kontraktbrüchige Sänger engagiert! Meine Ketten sind enger bemessen als das Geschirr, in dem ein Equipagenpferd geht. Ich habe für den Fremdesten, der mich um materielle Hilfe angeht, eine offene Hand, obschon das, was ich meinem Beruf an Lebensglück opfere, mit fünfmalhunderttausend Francs im Jahr nicht bezahlt ist. Aber verlangen Sie die kleinste Äußerung persönlicher Freiheit von mir, so ist das von einem Sklaven, wie ich es bin, zuviel verlangt. Ich kann Ihren Hermann nicht singen, solange Sie als Komponist nicht in Frage kommen.
Dühring:
Hören Sie, bitte, weiter. Es wird Ihnen die Lust dazu kommen.
Gerardo
knöpft sich den Rock zu: Wenn Sie wüßten, zu wie vielem mir die Lust kommt, was ich mir versagen muß und wie vieles ich auf mich nehmen muß, wozu ich nicht die geringste Lust habe! Es gibt für mich gar nichts anderes als diese zwei Eventualitäten. Sie waren Ihrer Lebtag ein freier Mann. Wie können Sie sich darüber beklagen, daß Sie nicht auf dem Markte stehen? Warum gehen Sie nicht auf den Markt?
Dühring:
Der Schacher – das Geschrei – die Gemeinheit – ich habe es hundertmal versucht.
Gerardo:
Man muß das tun, was man kann , und nicht das, was man nicht kann.
Dühring:
Es will alles gelernt sein.
Gerardo:
Man muß das lernen, was man lernen kann. Wer bürgt mir dafür, daß es sich mit Ihren Kompositionen nicht ebenso verhält!
Dühring:
Ich bin Komponist, Herr Kammersänger!
Gerardo:
Sie wollen damit sagen, daß Sie Ihre ganze geistige Kraft darauf verwendet haben, um Ihre Opern zu schreiben.
Dühring:
Ganz recht.
Gerardo:
Und es blieb Ihnen natürlich nichts mehr übrig, um ihre Aufführungen zustande zu bringen.
Dühring:
Ganz recht.
Gerardo:
Die Komponisten, die ich kenne, machen es umgekehrt. Die Opern schreiben sie herunter, und ihre geistigen Kräfte bewahren sie sich, um die Aufführungen zustande zu bringen.
Dühring:
Das sind Künstler, die ich nicht beneide.
Gerardo:
Das
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