Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Dutzenden von Anrufen geht niemand ans Telefon. Als der Empfänger daraufhin persönlich beim Amt vorbeigeht, wird er abgewiesen: »Sie haben keinen Termin.« Alles Einzelfälle, natürlich.
Sozialpass
Viele Hartz-IV-Empfänger beklagen, dass ihre Teilnahme am sozialen Leben wegen der knappen Haushaltskasse sehr eingeschränkt wird. Zahlreiche Kommunen versuchen, hier gegenzusteuern und sich lokale Lösungen zu überlegen. Beispiel Konstanz – hier gibt es einen Sozialpass , unter anderem für Hartz-IV-Empfänger. Damit gibt es Ermäßigungen in den Schwimmbädern, der Stadtbücherei, im Rosgartenmuseum, im Stadttheater und bei der Philharmonie, in Volkshochschule und Jugendmusikschule, bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, bei Vereinsbeiträgen für Minderjährige und bei Angeboten der Frauenbeauftragten der Stadt.
Ein paar Zahlen. Von 2009 auf 2010 hat sich der Anteil der Pässe bei Hartz-IV-Empfängern in Konstanz von 15 auf gut 33 Prozent verdoppelt. Am Stichtag 31.12.2009 hatten 1265 der 3777 Berechtigten einen Sozialpass. Bei den Minderjährigen ist die Steigerung noch viel deutlicher: von 27 (Ende 2008) auf 434 (Ende 2009).
Was wird von den Passbesitzern besonders genutzt? Vor allem die Schwimmbäder, aber auch Stadtbücherei, Kulturangebote (in kleinerem, aber doch beträchtlichem Umfang) und Angebote der Volkshochschule. Sehr erfreulich: Ermäßigungen bei Vereinsbeiträgen und Jugendmusikschule kommen rund 250 Jugendlichen zugute. Damit zeigt die Stadt, wie sich die soziale Erblast zumindest mindern lässt. Natürlich kostet das – im Fall von Konstanz rund 170.000 Euro im Jahr. Was aber – andersherum betrachtet – nicht viel Geld ist, um das soziale Gleichgewicht in der Stadt zu verbessern und die kommunalen und kulturellen Angebote sowie das Vereinsleben für alle Bürger zugänglich zu machen.
Kinder und Bildung
»Die sollen wenigstens unseren Kindern eine Chance geben!« Diesen Satz habe ich jetzt mehrmals gehört, vor allem von Müttern, die Hartz IV beziehen, die meisten davon alleinerziehend. Mütter, die sich ein Bein ausreißen würden dafür, ihre Kinder aus der Hartz-Mühle herauszubekommen. Die ziemlich kreativ wirtschaften, um Söhnen und Töchtern ein Hobby zu ermöglichen, halbwegs vernünftige Kleidung zu kaufen, die auf Bildung setzen und es ziemlich häufig schaffen, dass die Kinder das Gymnasium beenden und ein Studium beginnen.
Dass Bildung und soziale Schicht in Deutschland unheilvoll eng aneinandergekoppelt sind, wird gern beklagt und von der Politik mit Förderprogrammen aller Art bedacht. Auf der anderen Seite zeigen Beispiele von Hartz-IV-Eltern, mit denen ich gesprochen habe, dass Behörden und Gesetze umgekehrt dafür sorgen, dass Kinder nur schwer dem Hartz-IV-»Fluch« ihrer Eltern entkommen. Auch wenn Ursula von der Leyen dieser Tage immer wieder betont, wie wichtig es sei, dass die Hilfe »unbürokratisch und zuverlässig« bei den Kindern ankomme. Ein paar Beispiele.
Für Schüler ist pro Schuljahr eine Summe von 100 Euro für Bücher, Hefte und anderen Schulbedarf vorgesehen. Diese 100 Euro werden aber nur bis zur 10. Klasse gezahlt. Warum? Ist das Abitur bei Hartz-IV-Kindern nicht vorgesehen? Kinder sollen Gutscheine von 10 Euro im Monat erhalten, um Musik- und Sportunterricht bekommen zu können. Was eine Einzelstunde Geigenunterricht kostet, steht dazu in keinem Verhältnis.
Die Kosten für Klassenfahrten werden übernommen – zusätzlich zum Regelsatz und auch für mehrtägige Fahrten. Eine Mutter stellte den Antrag für eine Abschlussfahrt ihrer Tochter am Ende der 10. Klasse. Es kam eine Ablehnung. Begründung: Die Klasse werde nach der Fahrt sowieso auseinandergehen, deshalb würden der Tochter durch Nicht-Teilnahme an der Fahrt keine sozialen Nachteile im Klassenverband entstehen. Die Mutter erhob Einspruch – und das Amt lenkte ein. Was war also der Sinn der ersten Ablehnung? Vielleicht, dass der Schulverein einspringt und die Kosten übernimmt, die der Schülerin gesetzlich zustehen?
Der Sohn einer Mutter will studieren – im fernen Freiburg. Um sich das leisten zu können, hätte er BAföG beantragt. Das allerdings wäre auf den Regelsatz der Mutter angerechnet worden – und der Sohn hätte daheim wohnen bleiben und sich vor Ort einen anderen Studienplatz suchen müssen. Denn bis zum Alter von 25 ist der Sohn laut Gesetz Teil der Bedarfsgemeinschaft. Mit 25 hat man allerdings in der Regel heute sein Studium bereits beendet.
Der Sohn einer
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