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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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etwas mehr Geld in der Tasche der Leute, die trotz minimaler Zuverdienste lieber arbeiten gehen, als zu Hause herumzusitzen. Zweitens eine steigende Zahl von Hartz-IV-Empfängern in der Statistik – wenn die Obergrenzen steigen, fallen mehr Leute unter die Aufstocker-Regel. Und drittens ein Signal an die Unternehmen, die Menschen zu Löhnen beschäftigen, von denen man nicht leben kann: Macht weiter so. Der Staat stockt auf. Auf der anderen Seite berechnet die Bundesagentur für Arbeit schon jetzt Kürzungen beim Elterngeld und Übergangsgeld von ALG I zu ALG II – und das, obwohl das Gesetz bisher nur ein Entwurf ist . So als ginge man davon aus, das alles sei schon beschlossene Sache.
    Und noch ein Fehler. Aufregung gab es über Details in den Berechnungen in meinem Text im Südkurier . Zahlreiche Leser riefen an und fragten nach einzelnen Zahlen. Ein guter Hinweis kam auf einen Artikel in der FAZ . Hier rechnen die Kollegen die Sozialversicherungsbeiträge zum Regelsatz dazu, da der Staat diese ja für Hartz-IV-Empfänger zahle, für Niedriglöhner aber nicht. Fazit: Der gebotene und vom Paritätischen Wohlfahrtsverband bestätigte Lohnabstand sei ein Witz.
    Rudolf Martens von der Paritätischen Forschungsstelle könnte bei diesen Berechnungen unter die Decke gehen. Trotzdem erklärt er ganz in Ruhe, warum sich Arbeit dennoch lohnt. Denn weder der Hartz-IV-Empfänger noch der Geringverdiener haben die Sozialversicherungsbeiträge jemals auf dem Konto und damit netto zur Verfügung. Die gebotenen (und tatsächlich vorhandenen) Abstände der Einkommen beziehen sich jedoch genau auf das, was am Ende im Geldbeutel landet. Und das ist beim Arbeitenden immer mehr als beim Hartz-IV-Empfänger.
    So viel zur Politik. Ich bin morgen auf einen Geburtstag eingeladen. Eine Bring-a-bottle-Party. Ein Freund feiert, dem man auch etwas schenken möchte. Meine Monatsbilanz bringt das ziemlich durcheinander. Hingehen und zahlen – oder wegbleiben? Ich werde hingehen. In meinem Hartz-IV-Monat kann am Ende ruhig ein Minus herauskommen, auch wenn ich versuchen werde, möglichst auf null zu rechnen. In der Realität darf das nicht passieren. Da muss ich mir das Geschenk woanders absparen – oder zu Hause bleiben. So entsteht die soziale Vereinsamung, von der mir so viele Betroffene in der vergangenen Woche berichtet haben.
    Erstaunlich
    In meinen Gesprächen erfahre ich von Hartz-IV-Empfängern immer wieder Details aus ihrem Leben und vor allem dem Umgang mit Ämtern und Behörden, die mehr als erstaunlich, manchmal gar unglaublich sind. Einige Beispiele. Der Elternteil einer Empfängerin stirbt. Um zur Beerdigung fahren zu dürfen, die außerhalb der Stadt und auch des Landkreises stattfindet, muss eine Kopie des Totenscheins vorgelegt werden. Nach einem Tag muss die Empfängerin sich wieder zurückmelden.
    Ein Empfänger mit chronisch schlechten Leberwerten wird zum Amtsarzt geschickt. Dieser bescheinigt mit Blick auf die Werte schwere Alkoholabhängigkeit – was nicht stimmt. Trotzdem muss der Mann einen Kurs bei der Suchtberatung absolvieren. Der Kursleiter ist irritiert, weil der Mann hier offensichtlich fehl am Platz ist. Doch der Kurs muss sein. Eine Empfängerin lebt in einer Wohnung, die zwar etwas größer ist als die erlaubten 45 Quadratmeter, aber dafür unschlagbar günstig. Sie muss dennoch ausziehen – in eine kleinere, dafür aber deutlich teurere Wohnung. Dem Gesetz ist damit Genüge getan – und der Staat übernimmt die höhere Miete. Ein Empfänger fragt bei einem Sachbearbeiter eine Sonderzahlung an – und erhält zur Antwort »Dafür gebe ich Ihnen mein Geld nicht.«
    Die Tochter einer Empfängerin würde gern Zeitungen austragen, um damit ein Hobby zu finanzieren. Doch der Lohn würde angerechnet – und der Familie damit vom Regelsatz abgezogen. Die Mutter sagt: »So bekommt meine Tochter vom Staat beigebracht, dass sich Arbeit nicht lohnt«.
    Ein Empfänger wohnt in einer Wohnung mit Auto-Stellplatz – ohne ein Auto zu haben. Der Stellplatz ist nicht anderweitig zu vermieten, der Vermieter will (verständlich…) sein Geld. Die 15 Euro für den Stellplatz werden nun dem Empfänger vom Regelsatz abgezogen. Ein Empfänger reicht seine Nebenkostenabrechnung ein. Vier Monate später ist das Geld für die Heizung noch nicht überwiesen. Der Empfänger muss sich Geld leihen, um den Vermieter zu bezahlen und nicht aus der Wohnung geworfen zu werden. Nachfragen beim Sachbearbeiter sind nicht möglich. Bei

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