Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
gebrauchte Stringtangas sowie Abendkleider sind auf dem Boden verstreut, der Wasserhahn ist nicht zugedreht. »So ist es jeden Tag«, seufzt Maria. Schweigend sammelt sie die Kleider, Schuhe, Strings und Unterwäsche ein. Ich heule auf, als der eklige Inhalt einer Babywindel sich auf einen Prada-Pumps ergießt.
12.40 Uhr Mitten im Chaos fällt mein Blick auf eine Tasche voll mit 100-Euro-Scheinen, die in einem offen gelassenen Wandschrank steht. Waaah! Obwohl sie nur 1300 Euro netto pro Monat verdient, bleibt Maria gelassen. Ich erwähne Diebstahl. Sie sagt, sie würde nicht mal erwägen, auch nur einen kleinen Löffel mitgehen zu lassen. »Aber die Gäste beschuldigen uns oft! Obwohl sie ihre Sachen natürlich immer wiederfinden. Natürlich entschuldigt sich dann niemand bei uns.« Die Zimmermädchen sind unsichtbar, aber sie sind wesentliche Elemente des Palastes. Eine halbe Stunde später haben wir, dank Marias schier magischer Kräfte, den Saustall wieder in ein Paradies verwandelt. Ich bin erschöpft, aber es gibt noch zehn weitere Zimmer zu reinigen, zehn Betten zu beziehen, zehn Bäder zu schrubben, und das in Rekordzeit. Maria macht nicht mit mir Pause, aber ich kann einfach nicht mehr.
12.55 Uhr Sie begleitet mich auf eine Zigarette und findet, dass ich für ein Zimmermädchen ziemlich neugierig bin. Ich enthülle ihr meine Identität als Journalistin. Sie murmelt: »Vor der New-York-Sache haben sich die Leute nicht für uns interessiert ...«
13.00 Uhr Ein Page kommt in den Pausenraum. »Ich bin schon wieder Opfer von Madame T.s Anmache. Sie wollte mit mir tanzen!« Ich erfahre, dass nicht nur die reichen Männer dazu neigen, die Zimmermädchen um Gefallen zu bitten, sondern auch ihre Ehefrauen sich an das männliche Personal heranmachen. »Sie sind aufdringlich«, fährt der Page fort. »Üblicherweise sind sie in den Fünfzigern, sie sind mit ihrem Ehemann hier, sie haben alles, aber sie langweilen sich, daher suchen sie mit uns etwas Zerstreuung.« Der stellvertretende Direktor warnt sein Personal davor, sich mit diesen Damen einzulassen. Er erzählt dann immer dieselbe Anekdote, die sich genauso im Palast abgespielt hat. Die Geschichte eines Fahrers, dem eine Dame drängende Avancen gemacht hat. Schließlich nahm er an einem Abend die Einladung der Dame auf ihr Zimmer an. Der Ehemann kam aus dem Bad und schlug einen Dreier vor. Der Fahrer floh. Am nächsten Tag erzählte die erzürnte Dame dem Hoteldirektor, der Fahrer sei zu ihr ins Zimmer gekommen und zudringlich geworden. Die Überwachungskamera auf dem Flur belegte diese Version der Geschichte und der Fahrer verlor seinen Arbeitsplatz.
13.15 Uhr Mein Telefon piept. Es ist Maria, die mir mitteilt, dass der Gast aus Nr. 212 angerufen hat. Er hat seine Schachtel Kondome im Zimmer vergessen. Ist das ein Witz? Ganz und gar nicht. Es braucht jetzt einen Tauchgang in den Mülleimer, um sie zu bergen.
14.00 Uhr Dem Sohn der russischen Milliardäre gefällt sein Bett nicht. Jemand muss ins Möbelgeschäft fahren und ein anderes aussuchen. Ich lasse die Bemerkung fallen, dass das Kind erst drei Jahre alt ist. Aber ein Mitarbeiter des Hotels ist schon unterwegs, um ein neues Modell aufzutreiben.
15.00 Uhr Auf dem Flur bittet mich die Ehefrau eines reichen Briten, das Fläschchen für ihr Baby warm zu machen. Ich schlage die Mikrowelle vor. Sie verdreht die Augen zur Decke: »Ich verwende die Mikrowelle ausschließlich, um meine Kleider zu trocknen.«
16.00 Uhr Das neue Babybett gefällt dem kapriziösen Kind leider auch nicht. Es schreit. Ich werfe in die Diskussion ein, dass es sich vielleicht in seinem stockfinsteren Zimmer fürchtet, aber die Milliardärseltern sind so bedeutend, dass sich alle Welt um sie kümmert. Ich bin zerschlagen und müde, steige mit meinen schweren Körben voller vollgesogener Handtücher (warum die Handtücher der Gäste alle durchnässt sind, ist ein Mysterium!) in die Wäscherei hinunter. Dabei begegne ich einem Kollegen vom Houskeeping, der sich auf die Suche nach einem Babybett in Mickeymausform macht.
17.00 Uhr Mein Rücken ist kraftlos vom Bettenmachen, meine Knie aufgescheuert vom Badputzen. Marias Augen füllen sich mit Tränen, als sie mir sagt, dass sie allein zwei Kinder durchbringen muss. Dass ihr Leben nicht gerade rosig aussieht und sie eigentlich lieber Friseurin geworden wäre. Wir schleppen uns zu Nr. 12, die Gäste sind vor einer Viertelstunde abgereist, wir haben 14 Minuten, um das Zimmer neu zu machen.
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