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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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Ist das urbane Lässigkeit und Toleranz oder mangelnde Beobachtungsgabe?
    Egal, es ist langweilig. Also: einen Flug buchen und ab durch die Sicherheitsschleuse. Aber mit Anzug. Zu einfach will ich es den Sicherheitsleuten ja nicht machen.
    Kurz vor der Kontrolle auf dem Flughafen Tegel wird mir doch ein wenig mulmig. Wie wird der Sicherheitsmann reagieren, wenn er die Fessel entdeckt? Er reagiert – verblüfft. »Was ist denn das?« Immerhin hat er nicht einen Alarmknopf gedrückt, mich zu Boden gerungen und mir die Arme auf den Rücken gedreht. Also versuche ich es auf die renitente Tour. »Wie sieht es denn aus?« – »Tja«, sagt er, »da muss ich mit meinem Kollegen sprechen.« Dem Kollegen von der Polizei nämlich. Der ist groß und hat eine Waffe, nähert sich aber respektvoll und sagt: »Dürfte ich mal sehen, was Sie da haben?« Ich zeig ihm, was ich habe. »Das ist eine elektronische Fußfessel, nicht?«, sagt er aus dem Mundwinkel, damit es die anderen Passagiere nicht mitbekommen. Die schauen aber nicht hin oder tun wenigstens so. Ich nicke. Zählt ein Nicken schon als Lüge? Man will die Polizei nicht anlügen, auch dienstlich nicht. »Tut mir leid«, sagt der Polizist, »ich muss mal Ihren Ausweis sehen.«
    Panik. Ich finde meinen Ausweis nicht. Dann finde ich ihn doch und gebe ihn dem Beamten. Der macht einen Anruf. Vermutlich lässt er überprüfen, ob ich in irgendeiner Terroristendatei bin. Dann kehrt er zurück. »In Ordnung, Sie dürfen fliegen.« Ich bin fast enttäuscht. Dann sagt er, wieder aus dem Mundwinkel: »Darf man fragen, weshalb Sie das tragen müssen?« – »Muss ich Ihnen das sagen?« – »Nee, nee, natürlich nicht, ich frage man bloß.« – »Na ja«, sage ich und versuche, etwas gefährlich auszusehen. »Ich sage nur: Kachelmann. Sie wissen schon.« Er nickt weltmännisch. »Alles klar. Guten Flug.«
    Kein Sprengstoffhund beschnüffelt das Gerät an meinem Knöchel, mein Wort als Verbrecher genügt, dass ich eine Fußfessel trage und keine Bombe. Die Höflichkeit, mit der ich behandelt werde, ist so erstaunlich, wie die Nachlässigkeit, mit der ich an Bord des Fliegers gewinkt werde, beunruhigend ist. Stigmatisierung durch die Fußfessel? Ich kann die Besorgten beruhigen: keine Spur. Und das, so scheint mir nach dem Selbstversuch, ist ohnehin die falsche Frage.
    Bei allem Mitgefühl mit frühzeitig entlassenen Sexualverbrechern oder meinetwegen mit Leuten, die, statt Untersuchungshaft zu ertragen, eine Fußfessel tragen müssen, wie es gerade diskutiert wird: Entscheidend ist die Frage, ob die Fußfessel die Öffentlichkeit schützt. Und nicht, ob sie den Verbrecher – oder auch nur den Beschuldigten, für den immerhin die Unschuldsvermutung gilt – stigmatisiert. Ohnehin ist die Fessel erheblich angenehmer als das Gefängnis, wie ich aus Erfahrung – als Dauerdemonstrant in den 70ern kam das halt vor – berichten kann.
    Sicherheit durch die Fußfessel also? Schwer zu sagen, denn sie war nicht aktiviert. Wäre sie mit einem Ortungsgerät verbunden gewesen, hätte mich die Polizei dann rechtzeitig hindern können, etwa kleine Kinder im Freibad oder auf einem Spielplatz, auf der Straße anzusprechen? Diese Frage könnte erst eine andere Versuchsanordnung beantworten, bei der man eine aktivierte Fußfessel trägt und mit allen Mitteln versucht, sich der Kontrolle durch die Polizei zu entziehen. Das klingt nach einer guten journalistischen Idee. Also, wenn die Polizei mitmacht: Fortsetzung folgt.

Obdachlos im Winter des Geldes – Von Tobias Krüger und Heiko Gärtner
    Heiko Gärtner und Tobias Krüger sind Survival-Experten. Die beiden Oberpfälzer bieten Natur-Erlebnistrainings, Outdoor-Reisen, Gruppenseminare, Touren und Kinder-Events an. Im Januar 2012 begaben sie sich für zwei Wochen auf »Landstreichertour« und lebten als Obdachlose auf den Straßen Deutschlands. Ihre Tour führte sie über Nürnberg nach Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart, Memmingen, Friedrichshafen und Lindau. Ohne Geld, Schlafsäcke oder Survival-Ausrüstung zogen sie mitten im Winter los. Über ihre Erfahrungen wollen sie ein Buch schreiben. Bei ihrem Experiment lernten sie nicht nur das Leben auf der Straße kennen, sondern auch viele Menschen, die sie oft überraschten. Etwa in Frankfurt am Main.
    Jetzt schlenderten wir also bei gut zehn Grad minus mitten in der Nacht durch Frankfurt am Main, in der Hoffnung, irgendwo einen Schlafplatz aufzutreiben. Heiko kannte die Stadt noch ein wenig aus

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