Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
Vom Netzwerk:
Die Anweisungen dafür stehen schwarz auf weiß auf dem Gäste-Karteikärtchen: Federkissen, Blumen in der Suite und niemals darf man einem Zimmermädchen begegnen.
    17.10 Uhr Mouna würde ihren Arbeitstag gerne beenden, sie hat noch zwei Stunden Heimweg vor sich. Aber die Gäste aus Nr. 14 verlassen einfach ihr Zimmer nicht. Daher kann sie auch nicht hinein. »Das sind schwierige, nicht sehr liebenswerte Leute. Die bestellen jeden Abend den Room-Service für ihren Hund!«
    17.50 Uhr Maria erzählt mir, dass sie in einem Jahr und einem Tag zwölf Gepäckstücke von Louis Vuitton bekommen wird, die in einem Zimmer zurückgelassen wurden, für das sie zuständig war. Die Gäste haben das Gepäck sich selbst überlassen: Eine der Taschen war ein wenig beschädigt, da hat man es vorgezogen, alles neu zu kaufen. Es ist im Hotel üblich, dass zurückgelassene Sachen an die jeweils zuständigen Zimmermädchen gehen. Schuhe, Computer, Montblanc-Kugelschreiber ... die meisten Zimmermädchen warten auf ihren Glückstag. Ein zweifelhafter Trost für diese Frauen im Schatten, diese Opfer der Launen der Reichen dieser Welt.
    18.00 Uhr Mein Rücken ist krumm und bucklig. Nadia und Maria gehen, wie sie gekommen sind: durch den Personaleingang. Ich habe die Chance, in mein privilegiertes Leben zurückzukehren, für sie beginnt nun ein zweiter Arbeitstag: Es sind Kinder zu erziehen, die Wäsche zu machen, das Essen zu kochen und die Wohnung zu putzen. Die Last ihrer Schürze legen sie niemals ab.

»Was haben Sie denn da?« – Von Alan Posener
    Alan Posener ist ein britisch-deutscher Journalist. Er schreibt Bücher sowie Beiträge für deutsche und internationale Print- und Online-Medien. Für die Welt am Sonntag ist er mit einer elektronischen Fußfessel unterwegs gewesen.
    Mit der elektronischen Fußfessel auf dem Kinderspielplatz, im Freibad, am Flughafen: Was man erlebt, wenn man versucht, wie ein entlassener Schwerverbrecher auszusehen.
    Zuerst klingt es wie eine gute journalistische Idee: ein paar Tage mit einer elektronischen Fußfessel in Berlin herumlaufen. Wie werden die Mitbürger darauf reagieren, dass unter ihnen ein – ein was? – ein entlassener Schwerverbrecher, ein mutmaßlicher Kinderschänder? – sein Wesen treibt? Beim Anlegen aber kommen erste Zweifel. Was ist, wenn die Fußfessel scheuert? Wenn sie einen beim Schlafen stört? Wenn sie die Ehefrau stört? Abmachen kann man das Ding nur, indem man es zerstört.
    Die Sorgen erweisen sich als unberechtigt. Das Ding ist leicht, es sitzt fest, aber nicht zu fest, und nach einer Weile merkt man es gar nicht mehr. Da liegt allerdings auch ein Problem: Die Umwelt merkt ebenfalls nichts. Man muss schon auffällig-unauffällig die Hose ein wenig hochrutschen lassen, damit die Fußfessel überhaupt sichtbar wird. Schaut mich mein Gegenüber in der S-Bahn ein bisschen komisch an? Oder werde ich paranoid? Ich bin einer, der auch dann rot wird, wenn man ihn einer Sache bezichtigt, die er gar nicht begangen hat. Mit der Fußfessel am Bein fühle ich mich auch ein wenig schuldig, nachts träume ich vom ultimativen Verbrechen: mit 80 durch eine verkehrsberuhigte Zone fahren. Sieht man mir die Schuld an?
    Offenbar nicht wirklich. »Du siehst einfach zu nett aus«, sagt mir ein Kollege. Also greife ich zu verzweifelten Maßnahmen: Ich will ins Freibad gehen. Mit einer kurzen Hose am Kinderspielplatz herumlungern. Schließlich versuchen, in ein Flugzeug zu steigen.
    Im Prinzenbad in Berlin-Kreuzberg ignoriert man mich geflissentlich. Man ist dort einiges gewöhnt; auf den Liegewiesen kommt es schon mal zu Massenschlägereien. Vielleicht hält man das Gerät an meinem Knöchel auch nur für einen neuartigen Blutdruckmesser oder Rundenzähler. Schließlich spricht mich doch jemand an. Aber von dem Ding an meinem Bein spricht er nicht, sondern von seinem Kletterurlaub in der Sächsischen Schweiz. Es könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, der Mann hat auch noch eine Dose Bier übrig, aber ich habe eine Mission zu erfüllen.
    Die Mütter vom Kollwitzplatz am Prenzlauer Berg sind berüchtigt wegen ihrer Militanz gegen vermutete Kinderspanner. Wie werden sie erst auf einen Kinderspanner mit kurzer Cargo-Hose und gut sichtbarer Fußfessel reagieren? An einem sonnigen Nachmittag treibe ich mich am Platz herum, beobachte die hübschen jungen Mütter und die schicken jungen Väter, die im Sand mit ihren Kindern he­rumtollen, gehe mir ein Eis kaufen, kehre zurück: nichts.

Weitere Kostenlose Bücher