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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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seiner Zeit als Angestellter bei einer Versicherung. Das brachte uns aber nicht weiter, denn auf einen kostenlosen Schlafplatz im Maritim- oder im Mariott-Hotel machten wir uns wenig Hoffnung. Für mich war die Stadt völlig unbekannt.
    Die freundliche Dame, die uns beim Trampen mitgenommen hatte, hatte uns am Hauptbahnhof rausgelassen. Von hier aus gingen wir auf die Skyline der Bankenhochhäuser zu, die sich funkelnd vom Winterhimmel abhob. Dass wir dabei mitten durch das Rotlicht- und Drogenviertel der Stadt laufen mussten, ließ die ohnehin schon spezielle Atmosphäre dieser Nacht noch skurriler erscheinen. Was wir dann jedoch sahen, stellte alles andere in den Schatten. Wir hatten die letzten Häuser des düsteren Viertels hinter uns gelassen und schauten nun fasziniert auf die überdimensionierten Phallussymbole der Finanzgiganten aus Stahl, Glas und Beton, die in den Nachthimmel ragten. Unfähig, den Blick von den Hochhausspitzen zu lösen und wieder nach vorne zu richten, stolperten wir über etwas, das wir als Allerletztes an dieser Stelle erwartet hätten. Eine Zeltschnur! Mitten im Bankenviertel befand sich eine Zeltstadt mit allem drum und dran. Vom Küchenzelt bis zum Versammlungspavillon, vom Infostand bis zum Lagerfeuerplatz, von Schlafzelten bis zum Toilettenhäuschen. Und das, wo wir zwei verlorenen Seelen uns bei dieser Kälte nichts mehr wünschten als einen gemütlichen Schlafplatz.
    Wie wir von den Leuten am Infostand erfuhren, handelte es sich bei dem Camp um das von »Occupy Frankfurt«, einer antikapitalistischen Demo-Bewegung, die mit allem sympathisierte, was sich gegen Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Gewalt aussprach. Occypy hatte den Platz schon seit Oktober vergangenen Jahres besetzt und war ein Teil der Bewegung, die als »Occupy Wall Street« begonnen und sich inzwischen weltweit ausgebreitet hatte, um auf das korrupte und marode Geldsystem aufmerksam zu machen. Nach einem kurzen, fröhlichen Gespräch, immer wieder unterbrochen durch laute »OCCUPY!!!«-Rufe, wurden wir eingeladen, dem Camp als Gäste und Mitdemonstranten beizutreten.
    Wir hatten nichts gegen die Ziele der Demonstranten einzuwenden. Demonstrieren bedeutete hier in erster Linie besetzen. Besetzen wiederum bedeutete um diese Uhrzeit Schlafen auf dem Campgelände und da waren wir natürlich mit Begeisterung dabei. Chriss, ein junger Mann, der seit Beginn bei Occupy mitmachte, zeigte uns unser Zelt. Dann brachte er uns noch Schlafsäcke, Isomatten und Kissen, die unsere Nacht so richtig kuschelig machen sollten. Wir fragten ihn, ob er uns Tipps geben könne, wo wir am besten in Kontakt mit Obdachlosen kommen könnten. Dabei stellten wir fest, dass wir nicht die ersten Landstreicher im Occupy-Camp waren. »Auf ihre Art sind Obdachlose auch Demonstranten gegen das System«, sagte Chriss. »Wer boykottiert den Konsum mehr als sie? Immer wieder kommen welche zum Essen vorbei und manchmal schlafen auch welche hier. Sie sind jederzeit herzlich willkommen!«
    Dann erfuhren wir noch von einer U-Bahn-Station, der »Hauptwache«, die im Winter für Obdachlose zur Verfügung steht. Wir beschlossen, dieser vor dem Schlafengehen noch einen Besuch abzustatten.
    Die Bahnstation zeigte deutlich, dass das Thema Obdachlosigkeit in Frankfurt ein anderes ist als etwa in Nürnberg. Wie bei einem Flüchtlingslager in einer Turnhalle lagen hier dicht an dicht die Menschen am Boden, gehüllt in dicke Decken oder Schlafsäcke. Einige schliefen, andere unterhielten sich leise mit ihrem Liegenachbarn. Die Grundstimmung war friedlich und tiefenentspannt. Das Ganze hatte eine gewisse Gemütlichkeit. Vor diesem als Notunterkunft deklarierten Bereich der U-Bahn-Station patrouillierten einige Wachleute. Sie passten auf, dass es friedlich blieb und dass keiner der Passanten in die Versuchung geriet, die Obdachlosen anzupöbeln oder zu wecken.
    Einer der Wachleute verriet uns, dass es in Frankfurt im Winter sogar einen Kältebus gibt. Dieser fährt auf seiner Route drei Mal pro Nacht an den Orten vorbei, die bei Obdachlosen als Outdoor-Schlafstellen beliebt sind. Wenn dort jemand liegt, der doch eher ein Dach über dem Kopf braucht, so wird er eingesammelt und zu einem der Schlafplätze gebracht. Außerdem gibt es einige feste Stationen, die regelmäßig angefahren werden. Von hier aus kann man sich zu einer der Notschlafstellen in Frankfurt bringen lassen. Das Geniale an der Geschichte ist, dass man sogar Decken bekommt, wenn man mit diesem Bus zur

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