Draußen wartet die Welt
Knöpfe.
Ich lächelte und blätterte die Seite um. ANNIE HATTE RECHT, stand dort in Großbuchstaben. Yankee-Jungs sind süß! Joshs Grinsen breitet sich immer ganz langsam auf seinem Gesicht aus, bis er schließlich übers ganze Gesicht strahlt.
Am Abend von Daniels Besuch hatte ich geschrieben:
Daniel stand bei mir vor der Tür
ich war
froh, ihn zu sehen
traurig, ihn gehen zu sehen
während seines Besuchs ein bisschen sauer auf ihn
erleichtert, dass wir uns wieder versöhnt haben
nichts ist neu.
An einem anderen Tag, nachdem Valerie und ich von unserem Ausflug ins Einkaufszentrum zurückgekommen waren, hatte ich notiert: Valerie ist neidisch auf meine Wimpern. Wie seltsam. Und warum gibt mir das ein so befriedigendes Gefühl?
Eines Sonntags, nach einem Besuch bei Beth und John, hatte ich aufgeschrieben: Oh, Onkel John, es ist doch nicht deine Schuld, dass die Cubs eine Pechsträhne haben. Nein, du bist kein Unglücksbringer.
Ich klappte das Tagebuch wieder zu und drückte es ganz fest an meine Brust. Ich hatte zwar nicht alles lückenlos festgehalten, wie ich es meiner Mutter versprochen hatte, aber ich genoss diese kleinen Einblicke in mein englisches Leben. Ich dachte darüber nach, wie es wohl sein würde, es später einmal zu lesen, wenn ich erwachsen war und mich an diese Zeit in meinem Leben zurückerinnerte. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie diese zukünftige Eliza wohl aussah, während sie das Tagebuch las. Würde sie in einer von Kerosinlampen erleuchteten Küche sitzen, ihre Kapp auf dem Kopf, ihre Schürze eng um ihre Taille gebunden? Oder saß sie in einer modernen Küche, umgeben von piepsenden Maschinen, und trug eine Hose und eine Bluse mit Knöpfen?
Ich blätterte zum Ende des Tagebuchs, um nachzusehen, wie viele leere Seiten noch übrig waren, als etwas Weiches im hinteren Deckel des Einbands meine Aufmerksamkeit erregte. Es knisterte leise unter meinen Fingerspitzen. Ich fuhr mit den Fingern an der Innenseite des Einbands entlang, bis ich die Öffnung einer Art Tasche spürte, von der ich gar nicht gewusst hatte, dass sie da war. Ich fasste hinein und zog einige zusammengefaltete Seiten heraus, die ganz vergilbt und zerknittert waren. Ich faltete die Seiten auseinander und erkannte die geschwungene Handschrift meiner Mutter in blauer Tinte. Mein Herz schlug schneller, als ich zu lesen begann.
Zwar bin ich erst seit einer Woche hier, trotzdem habe ich bereits das Gefühl, schon immer in dieser Welt gelebt zu haben. Ich knipse den Lichtschalter an, ohne darüber nachzudenken, und drehe ganz selbstverständlich den Knopf am Radio, wenn ich Musik hören will. Wie soll ich die Leichtigkeit dieses Lebens je wieder hinter mir lassen? Wie kann ich je wieder Wäsche auf eine Leine hängen und die Teller einen nach dem anderen mit einem feuchten Handtuch abtrocknen?
Ich schluckte und musste beinahe nach Luft schnappen. Das war das Rumspringa-Tagebuch meiner Mutter. Sie musste vergessen haben, dass sich diese Seiten noch darin befanden.
Ich las ihre Worte wie ein Verdurstender. Schlang sie hinunter. Atmete sie ein. Auf den ersten Seiten berichtete sie von den Wundern des Fernsehens, des Kinos, der Spülmaschine, des Trockners und des Müllschluckers. Andere Einträge waren eher nachdenklich. An einer Stelle schrieb sie: Ich dachte, ich würde die Gottesdienste am Sonntag und die Quiltkreise vermissen. Aber sie werden hier durch andere Sachen ersetzt. Diskussionen über die Berichte in den Nachrichten beim Abendessen. Ausflüge in die Stadt, ins Museum oder ins Kino. Einkaufsbummel, bei denen ich nach einem T-Shirt in genau dem richtigen Blauton suche, der zu meiner neuen Hose passt. Ich will das ruhige Leben von zu Hause ja vermissen, aber es kommt mir so weit weg und unwichtig vor. Ich bin jetzt hier, und es ist gut möglich, dass ich bleiben werde.
Ich fand einen weiteren Eintrag, der die Texte sämtlicher Lieder von James Taylors Album Sweet Baby James enthielt. Es war beinahe unmöglich für mich, mir vorzustellen, dass meine Mutter jemals Popmusik gehört hatte. Wie konnte es sein, dass diese Lieder kein Teil von ihr geblieben waren, als sie wieder nach Hause zurückgekehrt war? Wie hatte sie es geschafft, sie komplett hinter sich zu lassen?
An einer anderen Stelle stand: Die Hausarbeit nimmt hier viel weniger Zeit in Anspruch. Zu Hause dauert das Wäschewaschen einen ganzen, sehr anstrengenden Tag lang. Hier haben die Kleider zwar nicht denselben Duft nach Wind und Sonne, aber sie
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