Draußen wartet die Welt
viel zu dünne Luft ein und zwang ein Lächeln auf mein Gesicht, als die Kinder aus dem Bus hüpften und ihre Rucksäcke von ihren schmalen Schultern rutschten.
Janie begrüßte mich mit einer Umarmung, wie sie es immer tat, und ich drückte sie ganz fest an mich. Während ich mit den Kindern zurück ins Haus ging, lauschte ich ihrem aufgeregten Geplapper über ihre Erlebnisse im Ferienlager. Ich machte ihnen etwas zu essen, stopfte ihre feuchten Handtücher und Badesachen in die Waschmaschine und stellte ihre Rucksäcke beiseite, die ich am nächsten Morgen neu packen würde. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mich außerhalb meines eigenen Körpers bewegen. Mein Körper war zwar da und führte die Befehle aus, aber mein Geist war ganz woanders. Er war zwanzig Jahre in die Vergangenheit gereist, als ein Mädchen namens Becky zu dicht am Abgrund entlangspaziert war.
Kapitel 29
Ich wartete auf dem Gleis an der Union Station auf den Zug meiner Mutter und fühlte mich seltsam aufgeregt. An diesem Morgen hatte Rachel mich zu Beth gefahren, wo ich den Koffer mit meinen Sachen abgestellt hatte. Dann hatte sie mich zum Bahnhof gebracht und mir noch einmal erklärt, wie ich in die Innenstadt kam. Seither ging ich unruhig auf und ab und dachte über den Besuch meiner Mutter nach. Und darüber, was er womöglich zu bedeuten hatte.
Schließlich sah ich die Lichter des herannahenden Zuges und wartete ungeduldig, bis sich die Türen öffneten und die Menschen auf den Bahnsteig strömten. Meine Mutter stieg ganz langsam aus dem Zug, einen kleinen braunen Koffer in der einen Hand, ihren Korb über dem anderen Arm. Ich winkte ihr zu und sah, wie sich ihr Ausdruck von Vorsicht zu Freude veränderte, als sie mich erkannte. Trotz der Augusthitze trug sie ihre schwarze Reisehaube mit der breiten Krempe sowie einen schwarzen Umhang über ihrem Kleid und ihrer Schürze. Ich bemerkte die flüchtigen Blicke, die ihr die anderen Passagiere zuwarfen, die über den Bahnsteig ins Bahnhofsgebäude hasteten. Ich wich dem entgegenkommenden Menschenschwarm, so gut ich konnte, aus und ging auf meine Mutter zu. Sie stellte ihren Koffer und den Korb ab, breitete die Arme aus und schlang sie um mich.
»Oh, Eliza, sieh dich nur an«, sagte sie, als ich mich aus ihrer Umarmung löste. »Du siehst genauso aus wie sie!«
Ich trug ein Sommerkleid in kräftigem Violett und Gelb, das ich mit Valeries Hilfe ausgesucht hatte. »Gut«, sagte ich. »Ich betrachte das als Kompliment.« Dann fügte ich hinzu: »Wenn du nichts dagegen hast, dachte ich, wir essen erst mal etwas zu Mittag, bevor …« Meine Stimme erstarb. Ich hatte sagen wollen: Bevor wir zu Tante Beth fahren.
Ein paar Minuten später saßen wir einander in einer Sitzecke in einem Restaurant gegenüber, das ich kurz zuvor entdeckt hatte. Meine Mutter legte ihren Umhang ab, unter dem sie ein lindgrünes Kleid trug. Ich bildete mir ein, ein paar neue Falten um ihre Augen zu entdecken. Aber ihr Gesicht wirkte entspannt, wenn auch ein wenig schüchtern. Als ich bemerkte, dass die Kellnerin uns anstarrte, wurde mir bewusst, dass ich gar nicht darüber nachgedacht hatte, was meine Mutter während ihres Besuchs tragen würde oder wie sehr sie in ihrer traditionellen Kleidung auffallen würde.
Wir bestellten Hühnchensalat und Eistee und gaben der Kellnerin die Speisekarten zurück. Ich schüttete Zucker in mein Glas. Als ich aufblickte, sah ich, dass meine Mutter mich beobachtete. Ich trank einen Schluck und erwiderte ihren Blick. Das letzte Mal, als wir zusammengesessen hatten, hatte sie widerstrebend eingewilligt, mich von zu Hause fortgehen zu lassen. In der Zwischenzeit hatte ich eine verlorene Tante und ein Tagebuch mit den Geheimnissen meiner Mutter entdeckt. Ich wartete, dass sie eine Unterhaltung begann.
»Nun«, sagte sie und seufzte, »ich schätze, es ist Zeit, dass eine von uns sie erwähnt.«
Ich nickte und sah ihr direkt in die Augen. »Ich habe eine Tante namens Beth.«
Sie senkte ihren Blick. »Danke, dass du sie gefunden hast.«
Mit einem Mal stieg ein unerwarteter Zorn in mir hoch. »Sie war nicht schwer zu finden. Du hattest ja ihre Adresse. Alles, was ich tun musste, war, an ihrer Tür zu klingeln.«
Ich wartete darauf, dass meine Mutter etwas sagte. Sie rührte in ihrem Tee, während eine neuerliche Stille zwischen uns kroch und sich ausbreitete, so als säße eine dritte Person mit uns am Tisch. Dann verstand ich plötzlich. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
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