Draußen wartet die Welt
sind in einer oder zwei Stunden sauber. Ist es wirklich Sünde, diese zusätzlichen freien Stunden jeden Tag zu genießen? Falls ja, dann bin ich eine Sünderin und habe nicht vor, Buße zu tun.
In einigen Einträgen ging es auch um Debbie, die Tochter des Schneiders, die ihr beibrachte, wie man den CD-Player benutzte und in welchen Läden im Einkaufszentrum es die coolsten Klamotten gab.
Etwa nach der Hälfte der Seiten fiel mir ein Name ins Auge. Ich weiß, dass Beth einsam ist, weil ich nicht da bin, und ich gebe zu, dass ich nicht so viel an sie denke, wie ich sollte. Aber dieses Rumspringa ist eine so selbstsüchtige Zeit. Ich interessiere mich nur noch für meine eigenen Wünsche. Ich bin keine gute Amische, während ich hier bin. Ehrlich gesagt bin ich überhaupt keine Amische, während ich hier bin.
Vollkommen gefangen von den Worten meiner Mutter las ich weiter. Es waren nur noch ein paar Seiten übrig und die Einträge wurden kürzer und lagen zeitlich weiter auseinander. Mir wurde klar, dass ich nach etwas ganz Bestimmtem suchte. Und dann fand ich es.
Matthew ist heute Abend vorbeigekommen. Wir sind in den Keller gegangen, um uns zu unterhalten – unter anderem. Sein Haar ist so wunderbar golden, dass ich einfach nicht aufhören kann, es anzuschauen.
Matthew. Meine Mutter hatte einen englischen Verehrer gehabt und sein Name war Matthew. Mein Herz klopfte inzwischen wie wild. Ich drehte die Seite um und las sie ungeduldig.
Matthews Name wurde ein paarmal erwähnt, aber es gab nur spärliche Einzelheiten. Ich unterbrach meine Lektüre für einen Moment und war mir nicht sicher, ob ich tatsächlich weiterlesen sollte. Sollte ich wirklich von dieser Romanze lesen, die meine Mutter mit einem Jungen namens Matthew gehabt, den sie in all den Jahren aber nie erwähnt hatte? Ich fragte mich, ob ich die Seiten nicht lieber weglegen sollte, aber dann dachte ich noch einmal über dieses Geschenk meiner Mutter nach. Sie hätte mir jedes beliebige Heft geben können, um ein Tagebuch zu führen, aber sie hatte mir absichtlich dieses überlassen. Ich kam allmählich zu einer ganz neuen Erkenntnis. Meine Mutter wollte, dass ich von alldem erfuhr. Diese versteckten Seiten waren eine Botschaft meiner Mutter an mich. Ich widmete mich wieder ihren Worten – der Geschichte meiner Mutter, die sie mir nie erzählt hatte.
Gegen Ende waren einige Einträge nicht länger als ein oder zwei Sätze. Wir passen perfekt zusammen. Wir sind füreinander bestimmt. In anderen ging es um die Schwierigkeiten ihrer Beziehung. Wir haben uns stundenlang unterhalten und trotzdem nichts Neues gesagt. Wir streiten uns, obwohl wir derselben Meinung sind. Auf der vorletzten Seite war die Schrift etwas blasser, so als sei sie sich nicht sicher gewesen, ob sie die Worte wirklich auf Papier bannen sollte. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass es so weit kommt. Ich habe keine Ahnung, ob es jetzt noch einen Weg zurück gibt.
Meine Brust krampfte sich zusammen und ich schloss die Augen. Meine Mutter war in Schwierigkeiten gewesen. Ich blätterte auf die letzte Seite. Ich fahre morgen um acht Uhr mit dem Zug ab. Debbie hat geweint, als ich ihr mitgeteilt habe, dass ich gehe. Sie hat gesagt: »Ich dachte, wir wären Freundinnen.« Ich habe ihr irgendwelche Lügen erzählt. Behauptet, dass meine Familie mich braucht. Dass ich ihr schreiben würde. Dass wir uns wiedersehen würden. Alles Lügen. Matthew hat gesagt, dass es ihm leidtut. Er hat mir Geld angeboten. Ich habe gewartet, ob das alles ist, was er mir anbieten würde. Es war alles.
Dann, am Ende der letzten Seite, stand ein einziger Satz: Ich hoffe, Amos ist ein Mann, der verzeihen kann.
Ich schnappte nach Luft. Mir war ganz schwindelig, aber die Luft um mich herum fühlte sich viel zu dünn an, um richtig zu atmen. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was das bedeutete.
Aber ich wusste es. Mit einem Mal ergab alles einen Sinn. Dass meine Mutter so plötzlich zurück nach Hause gereist war. Ihre Verwandlung in eine pflichtbewusste amische Frau. Ihre überstürzte Heirat mit einem Mann, den sie zu jenem Zeitpunkt vielleicht gar nicht geliebt hatte.
Meine Hände zitterten, als ich die Seiten wieder zusammenfaltete und zurück in die versteckte Tasche schob. Ich klappte das Tagebuch zu und verspürte das dringende Bedürfnis, es zu verstecken. Als ich hörte, wie der Bus, der die Ferienlager-Kinder nach Hause brachte, die Straße entlangrumpelte, ging ich nach unten. Ich atmete die
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