Dreck
diesmal kickten alle vier gemeinsam in der Abendsonne herum.
Vierundzwanzig
»Der zum Tode Verurteilte nahm noch einmal eine herzhafte Henkersmahlzeit ein«, sagte Leah trocken.
Wyatt spürte, wie sie ihn unter dem Tisch mit dem Fuß anstieß. Er blickte auf. Sie beobachtete Tobin aufmerksam beim Essen. Snyder tat dasselbe. Wie Wyatt hatten die beiden anderen nur eine kleine Schale Müsli gehabt und eine Tasse starken schwarzen Kaffee getrunken. Tobin jedoch hatte bereits zwei Schalen Müsli in sich hineingeschaufelt und machte sich nun daran, einen Berg Rührei und Speck zu attackieren. Man konnte die zerdrückte Mischung förmlich die Kehle hinunter rutschen hören. Sie lauschten seinen Kau- und Schluckgeräuschen. Er aß in einem unglaublichen Tempo, als wäre es das letzte Mal.
Wyatt lächelte ihr etwas abwesend zu und sah wieder weg. Nun, wo alles seinen Gang gehen sollte, war er ganz Konzentration und innere Reglosigkeit. Er hatte fast nichts gegessen, nicht aus Nervosität, sondern weil ihn Nahrungsaufnahme in solchen Momenten schlicht nicht interessierte. Das würde sich ändern. Danach würde sein Adrenalinspiegel so hoch sein, dass er dringend Nahrung benötigte, um wieder herunterzukommen. Auch Leah würde dabei eine wichtige Rolle spielen. Doch an all das verschwendete er jetzt keinen Gedanken. In dieser Phase kannte er keinerlei Gefühlsregungen oder Bedürfnisse, ganz gleich, was geschah oder wie es ausgehen würde. Er befand sich einfach im Wartezustand, wie ein Laufwerk innerhalb einer größeren Mechanik, das erst in Bewegung gerät, wenn andere Teile aktiviert werden.
Er erhob sich und verließ den Raum. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand stand er auf der Veranda und schaute übers Tal. Die Sicht war gut heute, der Himmel klar und es ging kaum Wind. Also keinerlei Anzeichen von Sturm oder anderen atmosphärischen Störungen, die sich auf die Funkübertragung negativ auswirken konnten. Ein Falke in der Ferne ließ sich auf den Luftströmen herantragen. Wahrscheinlich eine kleine Feldmaus, dachte er. Oder eine Wachtel, eventuell ein Kiebitz. Der Falke zoomte plötzlich wie in Nahaufnahme heran und stieß im Sturzflug zur Erde, gleich darauf kam er mit seiner Beute in den Krallen wieder hoch.
Leah kam zu ihm, ihre Finger streiften kurz seinen Hintern, dann stand sie versonnen an seiner Seite, ihre Tasse mit beiden Händen umklammernd. »Das große Warten«, sagte sie.
Es war immer das Gleiche mit den anderen. Alle, mit denen Wyatt bisher zusammengearbeitet hatte, verspürten unmittelbar vor der Aktion den unseligen Drang, Konversation zu machen oder wurden auf andere Weise unruhig. In der Regel zog sich Wyatt zurück. Wenn das nicht möglich war, schloss er so lange die Augen, bis sie es kapiert hatten und ihn in Ruhe ließen. Aber etwas in ihm riet ihm, mit Leah so nicht zu verfahren. Um sie bei Laune zu halten, sagte er deshalb etwas, wovon er überzeugt war, dass sie es als Antwort erwartete: »Tja, immer dasselbe.«
Tatsächlich jedoch war ihm das Warten ziemlich gleichgültig. Ihm war zwar bewusst, dass Abwarten andere schnell zermürbte, und die Gründe dafür kannte er – jedoch nicht aus eigener Erfahrung. In dieser Beziehung war er mehr Maschine als Mensch.
»Du bist das wahrscheinlich gewöhnt«, fuhr Leah fort.
»Man muss sich davor hüten, zu entspannt an eine Sache heranzugehen«, erwiderte er. »Man muss hellwach bleiben.«
Sie nickte mit feierlichem Ernst, als hätte er soeben eine universelle Grundregel des Lebens formuliert. Sie sah ihn an. »Die Zeit danach wird hart mit den beiden. Wird wahrscheinlich so etwas wie ein Antiklimax sein.«
Wyatt nickte. Endlich kam sie zu Wesentlichem und hörte mit den Platitüden auf. Viele Jobs hatten ein bitteres Nachspiel, wenn hinterher Abwarten bedeutete. Dann gingen die Meinungsverschiedenheiten und das Gezänk los. Die Hitzköpfe meinten dann regelmäßig, ihnen stehe eigentlich ein größerer Anteil zu; sie galt es dann zu besänftigen. Die Cowboys wollten sofort aufbrechen, um ihr Geld endlich unter die Leute zu bringen, die musste man daran hindern, damit sie nicht geschnappt wurden und die Bullen auf die Spur der anderen führen. Alles reinste Psychologie.
»Wie die mich jetzt schon anstarren«, sagte Leah. »Die werden völlig angeschärft sein hinterher. Wir werden uns gegenseitig Rückendeckung geben müssen.«
»Wenn sie irgendwelchen Ärger machen«, sagte Wyatt, »werden wir erbarmungslos zurückschlagen.«
Um neun Uhr
Weitere Kostenlose Bücher