Dreck: Roman (German Edition)
hoch durch die Bäume zur Wiese. Das Mondlicht ein hell-opakes Weiß auf allen Flächen, die Welt zu Marmor verwandelt, verfestigt. Die kalte Luft flüchtig. Grandma, rief er, aber seine Stimme war schwach, die Kehle wund.
Er hastete über die Wiese, sank im körnigen Sand ein. Schatten überall, und die Welt ließ sich auf zweierlei Weise sehen, als Licht und als Schatten. Gestalten, die geboren wurden und in die Welt kamen, oder die dunklen Räume drumherum, Aushöhlungen, die endlos zurückwichen. Seine Großmutter konnte beides sein, und er wusste nicht, wie er nach ihr suchen sollte.
Der Hang neigte sich beim Laufen, und er streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Er platzte durch feste Materie, seine Füße brachen den Marmor entzwei und verstreuten ihn. Irgendwo in diesem Labyrinth tat sie dasselbe, und er musste sie erspüren, einen Blick auf die Wirbel erhaschen, die sie im Licht hinterließ. Wellenmuster, irgendwo prägte sie das Muster, formte die Gegenwelle, genau das musste er spüren. Er musste sich in das Muster einfügen und die Eindellung am Rand erspüren. Grandma!
Im Schlamm stecken geblieben, von der Schwerkraft gebannt. Zu langsam, zu wenig Atem, zu schwer in seinem plumpen Körper, voll von Hühnerfett und Klößchen. Galen blieb stehen und beugte sich vor, erbrach sich, versuchte, sich selbst zu befreien, versuchte, die sterbliche Hülle loszuwerden. Die Luft so kalt, dass sie die Nacht niemals überstehen würde.
Zu mühsam, hügelauf zu rennen, also wandte er sichzur Seite, lief zickzack. Licht und Schatten, die Welt scharf und wieder unscharf. Er blieb stehen und versuchte, in den Hochkontrast zu blinzeln, langsam im Kreis zu laufen und einfach nur die Bewegung zu suchen. Aber der Wald war reglos, als hätte der Planet aufgehört, sich zu drehen. Ein langsames Treiben durchs All, so still, bis auf seinen Puls, seinen Atem, die Unruhe, die sein Inneres produzierte. Der Wald hatte seine Großmutter in aller Stille verschluckt.
Grandma, rief er wieder, und jetzt wurde er wütend. Warum musste er sie suchen. Er lief, so schnell er konnte, lief jetzt blind, versuchte nicht mehr, zu sehen, raste gegen Äste und über Stümpfe. Sie war da irgendwo, aber mit jedem Augenblick wurde sie unwahrscheinlicher.
Er versuchte zu lauschen, beugte sich keuchend vor und rannte denselben Weg wieder zurück.
Weiter, als er gedacht hatte. Zeitverschwendung, und nichts sah vertraut aus. Er würde die ganze Nacht suchen, das wusste er, und sie niemals finden. Sie wäre verloren und weg.
Aber dann sah er den großen Felsen, stakste über die Wiese, und ihm dämmerte, wo sie hingegangen sein musste. Ein Pfad am oberen Ende der Wiese führte zu weiteren Hütten und einem Parkplatz für Wanderer. Eigentlich gab es gar keine andere Möglichkeit. Er hatte leichtfertig Zeit verschwendet, und sie würde sich allmählich fürchten. Wenn sie sich zu sehr fürchtete, verließ sie vielleicht den Wanderweg.
Er folgte diesem Weg hügelauf, so schnell er konnte, an leeren Hütten vorbei, verrammelt mit Sturmläden ringsum, keine Scheiben, die den Mond spiegelten, bloß stumpfes Holz, das weiß schimmerte. Er konnte den Ort riechen, die Erde, das Unkraut, die Pinien, die vertraute Luft und den vertrauten Weg, und weiter vorn, zum Weg hin, der zum Gipfel hinaufführte, sah er eine Gestalt, die vom Licht in den Schatten und wieder ins Licht wechselte.
Grandma, rief er, und die Gestalt hielt inne, halb im Licht, inzwischen selbst ein Halbmond. Grandma, rief er noch einmal, warte auf mich.
Sie setzte sich wieder in Bewegung, und er rannte hinterher, bemüht, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie konnte so leicht ausbleichen, eine Lichttäuschung. Warte auf mich, rief er. Und sie verschwand, verharrte im Schatten vielleicht.
Lunge und Kehle rau, überhaupt keine Luft mehr, dennoch lief er, so schnell er konnte. Der Wald streckte sich, eine räumliche Dehnung. Er meinte eine Bewegung wahrzunehmen, eine Unruhe, war sich aber nicht sicher wegen seiner eigenen Bewegungen.
Grandma!, rief er. Warte auf mich! Aber er hatte sie verloren, sie war im Schatten verschwunden. Er kam zu der Stelle, an der er sie gesehen hatte, und da war nichts. Was immer er gesehen hatte, er hatte es sich nur eingebildet.
Der Waldweg nahm hier seinen Ausgang, ein schmalerer Pfad hinauf durch Wald und dann freie Kammlinien aus Granit. Der Weg erstreckte sich meilenweit, und sie konnte dort überall sein. Oder sie war in die andere
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