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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Richtung gelaufen, hinunter zum Bach und dort entlang oder sogar zum Highway.
    Galen fühlte sich überhaupt nicht stark, fühlte sich dem Wald nicht gewachsen. Er war auf einen winzigen Punkt beschränkt. Doch war er jetzt diesem Pfad verpflichtet, und er hoffte, sie hier zu finden.
    Ein Pfad der Erinnerung, ein Weg, dem er Hunderte Male gefolgt war, seit seinen Anfängen. Der Baum an der ersten Biegung, die offene Strecke mit Unterholz zu beiden Seiten, die sumpfige Furt über einen kleinen Bach, die kohlköpfigen Pflanzen, die aus dichtem Schlamm wuchsen, mit breiten Kräuseln und Falten in ihren Blättern. Der kurze Wiesenabschnitt, dann weiter bergauf und nun die Granitstufen, loses Gestein, aber flach geschichtet und mit Wurzeln vertäut. Das Scharren der Schuhe, die knirschend die Schritte aus frühester Erinnerung gingen, doch nie zuvor im Mondlicht. Ein vertrauter Ort, nun fremd.
    Galen erklomm den Granit, die Schleifen und Windungen in einer schmalen Rinne mit dichtem Unterholz zu beiden Seiten, und trat beinahe auf seine Großmutter.
    Ah!, rief er. Heilige Scheiße. Hast du mich erschreckt.
    Galen, sagte sie. Wie sie da in ihrem leichten Pullover und ihrer Freizeithose mitten auf dem Pfad saß, sah sie aus wie ein Granitblock, ein kleiner Findling.
    Wow, sagte er.
    Ich weiß nicht, ob ich noch sehr viel weiter gehen will, sagte sie. Ich werde müde, und mir ist kalt. Warum wandern wir nachts?
    Wir können zurückgehen.
    Aber deine Mutter ist oben. Wir können sie nicht einfach sich selbst überlassen. Sie wird nicht wissen, dass sie umkehren muss.
    Sie ist nicht da oben.
    Doch. Sie wollte doch diese Wanderung machen.
    Grandma. Hier sind nur wir beide.
    Nein. Deine Mutter ist kurz vor mir.
    Mom ist in der Hütte.
    Aber ich bin ihr doch gefolgt. Wenn sie nicht da oben ist, was mache ich dann hier? Wo gehe ich hin?
    Wir machen einfach einen Spaziergang, du und ich.
    Galens Großmutter stand auf und blickte zur Seite, am dichten Unterholz vorbei zu den Bergketten, die von selbst vor dem Himmel zu schweben schienen. Das ist kein Spaziergang, oder, fragte sie.
    Nein.
    Ich habe mich verlaufen.
    Ja.
    Und ich wäre einfach weitergegangen, weil ich dachte, dass deine Mutter vor mir ist.
    Vielleicht.
    Und warum bin ich hier draußen? Warum bin ich mitten in der Nacht rausgegangen?
    Weil Mom und Helen sich gestritten haben. Du wolltest weg, was eine gute Entscheidung war. Ich finde, du hast es richtig gemacht.
    Weißt du, wie es ist, sich nicht erinnern zu können?
    Nein.
    Als wäre man niemand, müsste aber trotzdem leben.
    Grandma.
    So schlimm ist es. Als wäre man niemand. Du glaubstjetzt, du bist jemand, aber nur, weil du deine Erinnerungen noch beisammen hast. Du fügst sie zusammen und glaubst, das ergibt etwas. Aber wenn du die Erinnerungen wegnimmst oder sogar vermischst, dann bleibt nichts übrig.
    Du erinnerst dich an diesen Weg. Und du hast dich an die Hütte erinnert, als wir ankamen. Du hast dich daran erinnert, wie man das Wasser anstellt.
    Wirklich? Galen sah ein flüchtiges Lächeln. An Orte erinnere ich mich, glaube ich. An diesen Weg erinnere ich mich wirklich. Und an Menschen. Ich habe nicht vergessen, wer du bist. Ich kann mich nur nicht erinnern, was passiert ist.
    Du bist eine wunderbare Großmutter. Ich habe tausend tolle Erinnerungen an dich.
    Galens Großmutter schlug die Hand vor den Mund und schloss die Augen. Galen wandte sich ab und wartete. Die Berge unabhängig, schwebend. Die Luft jetzt kälter.
    Ein tiefes Ausatmen seiner Großmutter, noch eins. Gut, sagte sie. Gehen wir nach Hause.

 
 

 

 
    A m Morgen verkündete Galens Mutter, sie würden packen und fahren.
    Aber wir haben es doch gerade so nett, sagte Helen. Ich bin wirklich gern in der Hütte. Können wir nicht noch ein, zwei Tage bleiben?
    Warum fahren wir?, fragte Galens Großmutter.
    Ich packe in der Küche zusammen, sagte Galens Mutter. Mom, du kannst mir dabei helfen.
    Ich hätte gern noch etwas Speck, sagte Jennifer.
    Das Frühstück ist vorbei.
    Nein, ist es nicht. Meine Tochter möchte noch etwas Speck, also machst du ihr noch Speck, kleine Suzie-Q.
    Das Frühstück ist vorbei.
    Dann eben Mom. Mom, mach deiner Enkelin Speck.
    Rede nicht so mit mir.
    Dann erzähle ich dir jetzt eine kleine Geschichte, Mom. Es war einmal eine Katze. Erinnerst du dich an die Katze?
    Was redest du da?
    Mom, achte nicht auf sie. Wir räumen die Schränke aus. Ich hole die Kartons aus dem Kofferraum.
    Diese Katze war blind und taub.

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