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Drecksau

Drecksau

Titel: Drecksau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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Aasgeier, und sehe einen Mann, etwa Mitte Vierzig, gut gekleidet, in einem häßlichen Krampfanfall am Boden zucken, mit einem steifen Arm und sich die Seite haltend.
    Der Junge wird ganz blau, und eine Frau kreischt: – COLIN! COLIN! BITTE HELFEN SIE UNS! BITTE!
    Ich bin neben der liegenden Gestalt auf die Knie gefallen. – Was fehlt ihm? brülle ich ihr zu. Er scheint nicht zu atmen. Er hat sich bepißt; in seinem Schritt bildet sich ein schwarzer, feuchter Fleck.
    – Es ist sein Herz ... es muß sein Herz sein ... er hat ein schwaches Herz ... oh Colin nein OH GOTT COLIN NEIN!
    Ich biege seinen Kopf nach hinten und mache Mund-zu-Mund-Beatmung.
    Komm jetzt du Arschloch
    Ich kann das Leben aus ihm weichen, die Wärme aus dem Körper fließen fühlen, und ich versuche sie mit aller Gewalt wieder in ihn reinzubekommen, aber er reagiert nicht. Sein Gesicht ist jetzt weiß, er sieht aus wie eine Schaufensterpuppe. Ich drehe mich zu der Frau um. Aus ihrem ebenfalls leichenblassen Gesicht kommt ein pfeifender, schnarrender Laut. – Was ist ... was kann ...
    – Tun Sie etwas ... bitte ... sie scheint die Worte aus einem Loch in ihrem Kehlkopf zu hauchen.
    Ich schnauze den Kerl an: – Komm, Junge ... du kannst hier nicht einfach abhauen ... Ich drehe mich zu der glotzenden Menge um: – Ruft den Krankenwagen! VERPISST EUCH MACHT DEN WEG FREI!
    Ich versuche es mit Herzmassage, Druck ausübend, auf den Brustkorb dieses Kerls hämmernd, und an die Stelle von Respekt und Erwartung tritt Feindseligkeit, als er sich weigert, zu reagieren. Ich taste nach seinem Handgelenk.
    Kein Puls.
     
    DU SOLLST LEBEN
     
    LEBEN
     
    LEBEN
     
    – Sie müssen weiterleben, sage ich leise zu ihm. Er hat die Augen in den Kopf gedreht.
    Die Frau kreischt in mein Ohr: – COLIN ... OH NEIN GOTT NEIN ...
    Ich weiß nicht, wie lange es dauert, während ich neben diesem formlosen Ding sitze, das im Gestank seiner Ausscheidungen daliegt, und ich halte die Hand der Frau in meiner. Ich höre Sirenen und spüre die Hand auf meiner Schulter. – Ist schon gut, Kumpel. Sie haben alles menschenmögliche getan. Er lebt nicht mehr. Ich schaue hoch und sehe einen Kerl, dem rotes Haar aus den Nasenlöchern wächst. Er trägt eine neongrüne Weste.
    Die Sanitäter bringen ihn weg. Mit einer plötzlichen, heftigen Bewegung packt die Frau mich um die Taille, und ihr süßer Duft mischt sich in seine übelriechende Ausdünstung. – Warum ... er war ein guter Mann ... er war ein guter Mann ... warum? Zuerst fühlt es sich unangenehm an, invasiv, aber dann finden unsere Körper ganz natürlich zusammen, wir fügen uns ineinander wie Teile eines Puzzles.
    – War er das? War er das? sage ich kopfschüttelnd und fühle, wie mir Tränen die Wange hinunterlaufen, und ich reibe mir übers Gesicht. Die Frau ist in meinen Armen, ihr Kopf liegt an meiner Brust. Ich will sie ewig halten, nie wieder loslassen.
    Sie bringen den toten Mann in den Rettungswagen, und wir lösen uns aus unserer Umarmung. Ich empfinde die kalte Schalheit der Isolation, als sie weggeführt wird. Ich stehe auf, drehe mich um und sehe zu den Aasgeiern. Es sind immer dieselben Gesichter. Wie dieser saublöde Film, wo sich alle zu einer Tragödie versammeln.
    – Was gibt's hier scheißnochmal zu glotzen? Was erwartet ihr hier zu sehen? Geht wieder einkaufen! Haut ab! Ich zeige ihnen meine Marke: – Polizei! Gehen Sie auseinander!
    Der tote Mann liegt auf der Rollbahre, und die Frau wirft sich über seine Brust. Darauf schielen die Aasgeier, wie bei Prinzessin Dianas Beerdigung, sie wollen die ausspionieren, die sie wirklich kannten, die Trauer aus ihren Gesichtern trinken.
    Irgend jemand redet mit mir. – Wer sind Sie?
    – Bruce Robertson, D.S. Bruce Robertson, brülle ich ihn an. – Lothian's Police.
    – Was ist passiert?
    Ich sehe den Kerl an: – Ich hab versucht, den Knaben zu retten ... ich hab's versucht, aber er ist mir weggestorben ... einfach weggestorben ... ich hab versucht, ihn zu retten.
    – Was war das für ein Gefühl für Sie?
    – Eh? frage ich die Fotze. – Was zum Henker ...
    – Brian Scullion, Evening News. Ich habe Sie beobachtet. Sie haben Ihre Sache wirklich gut gemacht, D.S. Robertson. Was war das für ein Gefühl, als Sie merkten, daß er es nicht schaffen würde?
    Ich wende mich von dem Spastiker ab und dränge mich durch die Menge. Ich schlurfe die Infirmary Street runter und steuere blinden Auges in Alan Andersons alte Kneipe.
    Der Junge hätte am Leben bleiben

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