Drei Eichen (German Edition)
Hubert Fiederling auf zu seinem Stammplatz in seiner dringend benötigten Wirtschaft in Wiesen. Sie lag am Fuße der Berge, die ihn heute so aus dem Gleichgewicht gebracht hatten.
Obwohl Dr. Gerhard Irrlinger geschockt war, hätte ihm in diesem Moment niemand irgendeine Gefühlslage ansehen können. Erst einmal musste er dafür sorgen, dass er aus dieser Geschichte einigermaßen unbeschadet herauskam. Doch eine unangenehme Sache wie diese würde trotz allem ziemlich viel Staub aufwirbeln, das war der vordergründig negativste Aspekt an ihr. Es galt, Schadenbegrenzung zu betreiben. Was wirklich in ihm vorging, musste er verdrängen, schließlich war morgen die große Abstimmung in Franken. Irrlinger überlegte fieberhaft. Die Polizei hatte alles abgesperrt, und jetzt kam ein einigermaßen seriös wirkender Kriminalbeamter auf die Gruppe der abseitsstehenden Hochzeitsgäste zu. Der andere Polizist, der vorher kurz mit ihnen gesprochen hatte, hatte in seinem abgerissenen Outfit nicht den Eindruck allzu großer Kompetenz hinterlassen. Der etwas ältere Mann von der Polizei stellte sich jetzt in die Mitte aller Anwesenden, klatschte in die Hände und bat mit ruhiger und sonorer Stimme um Aufmerksamkeit. Nun gut, es war interessant zu hören, wie es nun weitergehen sollte.
Franz Haderlein sah sich kurz um. Alle, die an der Staffelbergklause herumgestanden hatten, hatten sich neugierig um ihn versammelt. Erst jetzt bemerkte er, dass so gut wie sämtliche anwesenden Personen dunkle Anzüge und bunte Mützen trugen, die mit bunten Bändern verziert waren. Ihm fiel ein, dass alljährlich zu Pfingsten der Coburger Convent in der Gegend zu tagen pflegte, eine bundesweite Zusammenkunft von Studentenverbindungen. Zwar hatte Haderlein schon davon gelesen und gehört, zu tun hatte er mit diesen komischen Vögeln allerdings noch nie gehabt.
»Also gut, meine Damen und Herren«, wandte er sich mit lauter Stimme an die Umstehenden, »ich weiß, dass das sehr anstrengend und traurig für Sie sein muss, aber wir haben einen Mordfall aufzuklären. Sie werden sich leider den üblichen Befragungen unterziehen müssen. Ich möchte Sie daher bitten, sich in der Staffelbergklause zu versammeln, sodass wir Ihre Personalien und Aussagen aufnehmen können. Seien Sie versichert, dass Sie danach erst einmal entlassen sind, aber geben Sie uns bitte Ihre Kontaktdaten, damit wir Sie im Bedarfsfall jederzeit erreichen können. Ich danke Ihnen.« Er lächelte höflich, aber bestimmt in die Runde, woraufhin sich alle umdrehten, um sich auf den Weg Richtung Gaststube zu machen. Nur zwei Herren in uniformähnlichen Anzügen kamen direkt auf ihn zu. Auch diese beiden trugen ein buntes Käppchen auf dem Kopf und ein Abzeichen in ebensolchen Farben am Revers. Die Bänder zeigten die Verbindungsfarben Schwarz, Weiß, Rot von oben nach unten, auch quer über die Brust verlief bis zur Hüfte hinunter ein dementsprechendes Band.
Wieder meinte Haderlein, den älteren Herrn mit den längeren grauen Haaren zu kennen, aber wollte beim besten Willen nicht darauf kommen, woher. Doch diese Gedächtnislücke sollte sich sogleich von selbst schließen, denn die beiden Herren stellten sich artig vor.
»Herr Kommissar, wir verstehen natürlich Ihre Vorgehensweise und die Zwänge, unter denen Sie hier Ihre Arbeit verrichten müssen«, sagte der ältere der beiden Herren höflich und lächelte Haderlein gewinnend an. »Mein Name ist Dr. Gerhard Irrlinger, und das hier ist Herr Dr. Werner Grosch. Wir würden uns gern einmal kurz mit Ihnen unter vier beziehungsweise sechs Augen unterhalten, wenn das ginge.« Er streckte Haderlein die Hand entgegen und ließ sein Lächeln noch etwas breiter werden. Auch Dr. Grosch gab dem Hauptkommissar die Hand, äußerte sich aber nicht weiter. Anscheinend zog er es vor, im Hintergrund zu bleiben. Bei den beiden Herren war die Hackordnung anscheinend klar geregelt, dachte sich Haderlein.
Spät, aber immerhin ging dem Kriminalhauptkommissar ein Licht auf. Nein, kein Licht, eher schon ein ganzer Kronleuchter. Dr. Gerhard Irrlinger? Der Typ, der da vor ihm stand, war niemand Geringerer als der Dr. Irrlinger, der seit Jahren an der Abspaltung Frankens vom Freistaat Bayern arbeitete und morgen Abend das Ziel seiner Träume erreichen konnte, wenn die große Abstimmung in allen fränkischen Landesteilen darüber stattfand, ob man denn ein eigenes Bundesland werden wollte. Im Moment gab es im deutschen TV kein Gesicht, das häufiger gezeigt
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