Drei Eichen (German Edition)
aus seinen Zügen. Niemand, auch nicht Sachse, würde je dahintersteigen, was in Siebenstädters Hirn vor sich ging.
»Aufmachen!«, befahl der Professor herrisch und fuchtelte mit der linken Hand ungeduldig in Richtung Leichensack.
Sachse tat ihm den Gefallen und zog die Reißverschlüsse nach rechts und links auf.
»Haha!« Als Siebenstädter die Leiche mit einem kurzen Blick bedachte, legte sich wieder ein triumphierender Ausdruck auf sein Gesicht. »Welches arme Schwein hat sich denn hier als Dummie für diese alberne Scharade hergegeben? Irgendein Polizei-Azubi im ersten Lehrjahr, der gleich aufwachen wird, wenn ich ihm nur die entsprechende Summe ins Ohr flüstere?« Kumpelhaft ließ Siebenstädter seine sorgsam manikürte rechte Hand auf das Hinterteil von Sachses Mitbringsel klatschen. Zu seinem größten Erstaunen blieb der Azubi der Kripo Bamberg ohne Anzeichen von Leben, sondern so, wie er war, nämlich reglos. Sehr zum Missfallen Siebenstädters. Aber so schnell würde er, Chef der Gerichtsmedizin in Erlangen, nicht aufgeben, das wäre ja gelacht.
»Sie können sich von den Toten erheben, Sie Aushilfsverstorbener von Haderleins Gnaden!«, rief der Professor und zwinkerte Sachse mit einem Auge zu, der keinerlei Anstalten machte, die heitere Stimmung mit ihm zu teilen. Im Gegenteil, in sehr sachlichem Ton machte er Siebenstädter darauf aufmerksam, dass, wenn er diesen Toten weiter malträtieren würde, der Tatbestand der Leichenschändung erfüllt sei. Sofort erstarrte das Gesicht des Professors für einen Moment, bevor sich sein berühmtes Haifischgrinsen darauf ausbreitete. Er drehte sich auf dem Absatz um, stürzte überfallartig auf die mit dem Gesicht nach unten liegende Leiche und begann professionell, aber hektisch an dieser herumzufummeln. Zuerst prüfte er den Puls, danach machte er noch einen Pupillencheck, bevor er mit einem Thermometer, das er immer bei sich trug, noch die Körpertemperatur maß. Schließlich richtete er sich wieder auf und murmelte so etwas wie: »Der ist ja tatsächlich tot, der Drecksack.« Aber so wirklich hatte Sachse seine Worte nicht verstehen können.
Mit der rechten Hand bewegte Siebenstädter den Pfeil mehr oder minder lustlos noch ein wenig in der Leiche rauf und runter, als wollte er sicherheitshalber ein letztes Mal überprüfen, ob man ihm nicht doch irgendwo eine versteckte Kamera untergejubelt hatte. Endlich gab er seufzend auf und schob den fränkischen Amerikaner wortlos in das Dunkel der unteren Etagen der Erlanger Gerichtsmedizin.
Sachse folgte ihm umgehend, schließlich brauchte er noch seine Quittung. War das erledigt, so seine Hoffnung, konnte er sich von dem unerquicklichen Professor und seinen wahnhaften Vorstellungen entfernen, sich endlich wieder daheim in sein Bett legen und einen Monat lang schlafen.
Siebenstädter stellte den Rollwagen mit seiner Leiche auf dem Gang ab und verdrückte sich ohne jeglichen Kommentar in das Treppenhaus, durch das man nach oben in sein Büro gelangte. Allein gelassen stand Sachse in der sterilen Umgebung der Gerichtsmedizin herum, unschlüssig, ob er dem Professor folgen sollte oder nicht. Doch wenige Minuten später kam Siebenstädter auch schon wieder mit festem Schritt und unbeweglichem Gesicht die Treppe hinunter, übergab Sachse seine Empfangsbestätigung und hatte bereits wieder den Griff seines Rollwagens in der Hand, als er sich doch noch einmal umdrehte und sein Gesicht nur wenige Zentimeter an das des überraschten Leichenbestatters heranschob.
»Das war gerade eine ganz erbärmliche Nummer, die Haderlein da versucht hat abzuziehen, sagen Sie das Ihrem Hobbykriminalisten!« Sachse wich einen Schritt zurück, während Siebenstädter die rechte Hand hoch über seinen Kopf erhob und den Zeigefinger ausstreckte. »Und versuchen Sie nie mehr, ich wiederhole, nie mehr, mich zu verarschen, Sachse«, zischte er die mit Single-Malt-Tröpfchen angereicherte Drohung dem konsternierten Bestatter ins Gesicht. Dann machte er eine ästhetisch einwandfreie halbe Pirouette auf einem Fuß, schnappte sich seine pfeilgefiederte Leiche und entfloh dramaturgisch perfekt inszeniert in die Tiefen der gerichtsmedizinischen Katakomben.
»Dann noch schöne Pfingstferien«, wünschte ihr der Vater ihrer besten Schülerin, der soeben bei ihr die Sprechstunde besucht hatte. Er hatte sich nur Lobeshymnen abholen dürfen, denn seine Tochter Miriam hatte schlichtweg keine Defizite. Jedenfalls keine schulischen. Wenn sie überhaupt
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