Drei Eichen (German Edition)
romantische Rollerdate mit Miriams Vater ablaufen könnte. Der Konjunktiv feierte in ihrer Vorstellungswelt fröhliche Urständ.
Am Sonntag sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Irgendwie nüchterner, dafür hatte sich das Wetter immerhin gebessert. Es war merklich wärmer, und die Sonne schien alles geben zu wollen, was der Juni an Licht und Wärme produzieren konnte. Ein Tag wie gemacht für einen Ausflug mit ihrer Primavera.
Sie würde es sogar riskieren können, das leichte Sommerkleid anzuziehen. Hinter dem Frontblech der Vespa und dem großen, durchsichtigen Windschild saß man wunderbar geschützt. Wenn das mit dem Date tatsächlich klappte, wollte sie alles zeigen, was sie hatte. Nicht zu aufdringlich, aber doch deutlich. Jeder unnötige Quadratzentimeter Stoff war zu vermeiden. Lieber ein Mal zu viel gefroren, als einen Mann zu wenig erwischt, dachte sie entschlossen.
Den Helm hatte sie schon aufgesetzt, ihre Handtasche mit den wichtigsten Mädelsausflugsutensilien im kleinen Fach der Vespa hinten links verstaut. Das Schloss klemmte zwar manchmal, aber wenn’s drauf ankam, hatte sie es noch immer aufbekommen. Zu allem bereit, stieg sie auf ihren limettenfarbenen Roller, setzte sich ihre Sonnenbrille auf und fuhr mit dem Gefühl unbegrenzter Leichtigkeit der Frühlingswärme entgegen.
Während Petra Ledang nach Norden bretterte, vergaß sie die Sorgen, die Schule und auch die Zeit. Mit einhundertfünfundzwanzig Kubikzentimetern war das Gefährt nicht gerade von der langsamen Sorte, da konnte man schon flotte Geschwindigkeiten erreichen, wenn man wollte. Aber heute war ihr danach, einfach nur das Leben zu genießen, und das ging auch ein bisschen langsamer. Sie wählte eine Route, die sie zuerst nach Eltmann führte. Dort wechselte sie auf die andere Mainseite und fuhr Richtung Norden, grobe Richtung Hofheim in Unterfranken. Bei den eher eingeschränkten Fahrkünsten der Autos mit Hassfurter Kennzeichen glich dies in der Regel einer Expedition mit Nervenzusammenbruchfaktor, aber mit einem Roller konnte man jeden Hassfurter überholen, der auf der Straße Pilze pflückte. Ein großer Vorteil des Gefährts.
Irgendwann erreichte sie mitten in den Hassbergen in dem Örtchen Pettstadt einen alten Gutshof, der mit einer wunderschönen Gastwirtschaft aufwartete und inmitten einer Wiese lag. Vom kleinen Biergarten aus hatte man einen Blick auf einen ebenso kleinen, hübschen See, auf dem ein paar Enten aufgeregt umherschwammen. Offensichtlich hatten auch die gerade intensiv mit ihren Frühlingsgefühlen zu tun.
Sie setzte den Helm ab, nahm auf einem der Biergartenstühle Platz und ließ sich kurze Zeit später von der Bedienung in fränkischer Tracht eine Johannisbeersaftschorle bringen. Fast eine Stunde ließ sie sich die Sonne auf die augenfälligen, vor allem aber unbedeckten Körperteile scheinen, bevor ihr die zugesteckte Telefonnummer wieder einfiel. Miriams Papa gab’s ja auch noch! Den hätte sie jetzt fast vergessen. Lächelnd ging sie zu ihrer Primavera und öffnete das kleine Staufach. Sie holte den Zettel aus ihrer Handtasche, dann ihr Handy, tippte erst die Nummer, dann die Nachricht ein und drückte zum Schluss den Sendebutton. Sie hatte alles getan, was in ihrer Macht lag, und doch bezweifelte sie, dass der Typ sich melden würde. Sie passte doch niemals in das Beuteschema eines erfolgreichen Managers, wie er einer war, dachte sie in vorauseilender Rechtfertigungsbereitschaft.
Sie hatte kaum das Handy auf den Tisch gelegt und sich wieder in ihrem Biergartenstuhl niedergelassen, als sich ihr nagelneues Nokia mit einem leisen »Ping« meldete. Na, das war ja schnell gegangen, dachte sie sich nun doch verblüfft. Eher hätte sie in ein paar Tagen eine männliche Entschuldigungsantwort der üblichen Art erwartet – wenn denn überhaupt. Freudig erregt las sie die ausführliche SMS von IHM , und ein wohliger Schauer lief ihr den Rücken hinauf und auf ihrer Vorderseite wieder hinunter. Das war ja nicht zu fassen, von wegen unnahbar! Ja, sie kannte die Ortschaft, die er nannte, ja, sie würde da jetzt hinfahren, und ja, sie freute sich. Aufgeregt winkte sie der Bedienung, um zu zahlen.
Mit ihrem Lippenstift zog sie sich noch einmal schnell die Lippen nach, sie sollte ja perfekt aussehen. Als sie dann die Klappe des Faches an der Vespa noch einmal öffnen wollte, um Lippenstift und Zettel in die Handtasche zu tun, passierte das Undenkbare. Das Schloss ließ sich nicht mehr öffnen. Sosehr sie
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