Drei Eichen (German Edition)
wissenschaftlich gebildete Menschen zurückgegriffen, die dann verkünden durften, was man selbst als Ergebnis herbeisehnte. Kraft des anwesenden fachlichen Kenntnisreichtums wurde dies dann auch meistens Realität. Im Fall von Manfred Zöder und der möglichen Nürnberger Landeshauptstadt war Dr. Georg Habermehl ins Spiel gekommen, ein anerkannter Kulturhistoriker und Weintrinker ohne Führerschein aus Bamberg. Da er schon mehrere Expertisen für die bayerische Staatsregierung erstellt hatte, war es nur ein logischer Schritt, diesen Mann für eine solch heikle Aufgabe zu gewinnen. Zöder hatte bei seiner Auftragserteilung des Vortrags mehrfach den Namen Nürnberg fallen lassen und mit lukrativen Folgeaufträgen gelockt. Der Mann musste also völlig bescheuert sein, wenn er jetzt eine andere Meinung vertreten würde als die von Manfred Zöder. Also machte sich dieser siegessicher an die Ausführung seines raffiniert eingefädelten Plans.
»Liebe Freunde!«, rief er laut und läutete immer wieder die Glocke, bis sich alle wieder einigermaßen beruhigt auf ihren Plätzen befanden. »Liebe Freunde, ich verstehe, dass das ein sehr emotionales Thema ist. Deshalb habe ich mir auch die Freiheit genommen, fachkundigen Rat in Form des nächsten Redners einzuladen. Bitte begrüßt mit einem großen Applaus Herrn Professor Dr. Georg Habermehl aus Bamberg!«
Der Plan von Zöder schien vorerst aufzugehen. Die Anwesenden spendeten dem bestellten politischen Blitzableiter höflichen Applaus, während dieser in seinen beigen Kniebundhosen und den inzwischen langen weißen Haaren das Podium betrat. Ohne Zögern ging er zu einem Rednerpult, welches auf der linken Seite der Bühne noch vor dem großen Podium stand. Neben dem Pult konnte man ein kleines Tischchen erkennen, auf dem ein Laptop und ein Glas Weißwein für ihn bereitstanden. Habermehl nippte einmal kurz an seinem Weißwein, dann schaltete er den Laptop ein. Im Saal war es inzwischen geradezu gespenstisch ruhig geworden, alle Augen und Kameras hatten sich auf den Professor eingezoomt. Dieser genoss die mediale als auch die sonstige Aufmerksamkeit sichtlich und warf einen bedeutungsvollen Blick in die Runde, bevor er zu seinen eröffnenden Worten anhob.
»Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, liebe sonstigen Anwesenden und Interessierte, ich hatte nun über Monate die ehrenvolle Aufgabe, für unser zukünftiges Bundesland, unsere fränkische Heimat, einen Vorschlag für eine Landeshauptstadt zu erarbeiten.« Er hielt einen Moment lang inne und ließ die enorme Wichtigkeit der Aussage auf alle Anwesenden wirken, bevor er fortfuhr. »Nun, der folgende Vortrag umfasst sowohl kulturelle und geschichtliche als auch geografische Aspekte …«
In der nächsten halben Stunde hielt Professor Habermehl eine Rede von derartig fachlicher Dichte, dass jegliches Adrenalin in den Adern der Anwesenden auf null absank. Niemand verstand auch nur die Hälfte des wissenschaftlichen Gefasels, das Professor Habermehl voller Inbrunst und Hingabe absonderte.
Manfred Zöder grinste zufrieden in sich hinein. Das lief ja prächtig, viel besser als erwartet. Nach dem Vortrag des Professors würden alle desillusioniert, müde, vor allem aber willen- und ahnungslos dem hingehaltenen Happen in Form von Nürnberg zustimmen. Wenn auch die Begeisterung fehlte, die Hauptsache war die Mehrheit. Eigentlich nahm der Tag einen für ihn sensationell geradlinigen Verlauf, dachte Zöder bei sich, während Habermehl auf den Höhepunkt seines Vortrages zusteuerte.
»Und deshalb möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, nun das Ergebnis meiner umfassenden Untersuchungen präsentieren«, verkündete er. Die Worte hatten eine magische Wirkung, alle im Saal waren plötzlich wieder hellwach. Professor Habermehl streckte sich ein wenig und schaltete dann den Laptop ein. Auf einer riesigen Leinwand, die hoch oben hinter dem Podium hing, erschien eine große Landkarte, die das fränkische Kernland mit seinen drei Regierungsbezirken zeigte: Ober-, Mittel- und Unterfranken. Das fränkische Thüringen südlich des Rennsteigs war schraffiert, genauso wie Teile des östlichen Württembergs, wo das tauberfränkische Hohenlohe ebenfalls über seinen Beitritt zum fränkischen Staatsgebiet abstimmen wollte.
Gespannt blickten alle auf die große Karte, auf der von einer Landeshauptstadt noch nichts zu erkennen war. Das Gemurmel im Saal nahm zu, die Spannung war mit Händen greifbar. Nur Manfred Zöder
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