Drei Eichen (German Edition)
blieb entspannt auf seinem Stuhl sitzen, er hatte sich nicht einmal zu der Karte in seinem Rücken umgedreht. Warum auch, er wusste ja, wie die Geschichte ausgehen würde.
»Letztendlich war die Entscheidung relativ klar, einfach und eindeutig«, proklamierte Habermehl und setzte sich vor seinen Laptop. Das fahle Licht des Bildschirms beleuchtete von unten sein Gesicht und sein schlohweißes Haar, sodass er wirkte wie seinerzeit ein gewisser Frankenstein vor der Planung seines Gesellenstücks.
»Das wichtigste Argument für eine Landeshauptstadt ist und bleibt schlussendlich der geografische Faktor. Die Geschichte und die Größe spielen in Franken nicht wirklich die entscheidende Rolle, nein, unsere Hauptstadt sollte möglichst zentral im neuen Staatsgebilde liegen. Wenn man schon die einmalige Möglichkeit hat, diesen Umstand zu berücksichtigen, dann sollte man das auch tun, sonst endet Franken noch wie Chile«, verkündete er feierlich.
Zöder beschlich ein erster kleiner Zweifel an Habermehls Loyalität. Wenn er es recht bedachte, so lag Nürnberg auch mit viel gutem Willen nicht in der Mitte der fränkischen Lande, sondern eher unten rechts. Was hatte der Professor da vor, zum Kuckuck? Mit Misstrauen beseelt drehte sich Manfred Zöder um und beäugte die große grün eingefärbte Karte, die über ihm an die Leinwand projiziert wurde.
»Ich werde nun zwei Linien ziehen, um Ihnen meine Gedankengänge zu verdeutlichen«, erläuterte der Professor seine Vorgehensweise und drückte eine Taste auf seinem Laptop. Für alle sofort ersichtlich erschien auf der Frankenkarte eine rote, fast senkrechte Linie.
»Nun, wie wir alle sehen können, verbindet diese Linie den nördlichsten Ort Frankens, nämlich Weimarschmieden in der Rhön, mit dem momentan südlichsten fränkischen Flecken Solnhofen im Landkreis Weißenburg. Unsere womöglichen Neubürger aus Thüringen und Tauberfranken mögen es mir verzeihen, dass ich sie aufgrund der aktuellen unentschiedenen politischen Situation noch außen vor lasse. Trotzdem soll gesagt werden, dass die Miteinbeziehung der Gebiete am Ergebnis auch nichts Grundlegendes ändern würde«, erklärte Habermehl stolz.
Die Anwesenden hangelten sich nun optisch an der gedachten Linie rauf und runter, um herauszufinden, auf welche Stadt denn nun Habermehls Entscheidung fallen würde. Der eine oder andere Favorit war jetzt jedenfalls schon gestorben – zum Beispiel Aschaffenburg und Nürnberg.
Manfred Zöder war alles Blut aus seinem Gesicht gewichen. Nur noch verstört folgte er dem weiteren Vortrag von Professor Habermehl, der nun zum großen Finale ausholte. Konnte es sein, dass dieser Provinzwissenschaftler es wagen würde, eine eigene, wissenschaftlich fundierte, aber für Zöder unmaßgebliche Meinung zu vertreten?
»Nun, meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, ziehen wir nun also eine gedachte Linie von unserem westlichsten Ort Kahl bei Aschaffenburg bis zum östlichsten Schirnding im Landkreis Wunsiedel an der tschechischen Grenze«, fuhr Habermehl fort. Wieder drückte er eine Taste auf seinem Laptop, und eine zweite, waagerechte blaue Linie erschien, die sich ungefähr in der Mitte der Landkarte mit der roten Linie kreuzte. Jeder wusste nun, was die Stunde geschlagen hatte, das Ergebnis war klar und deutlich.
Habermehl erhob sich von seinem Stuhl und drückte seinen Rücken durch, um eine möglichst aufrechte Haltung einzunehmen. »Hier, an der Schnittstelle dieser beiden Linien, liegt unsere neue fränkische Landeshauptstadt, liebe Freundinnen und Freunde.« Er holte noch einmal tief Luft, dann deutete er mit einer weit ausholenden Bewegung seines Arms auf den Mittelpunkt der Karte an der Wand. »Hassfurt!«
Professor Dr. Georg Habermehl hatte an dieser Stelle seines Vortrags eigentlich mit Zustimmung und aufbrandendem Applaus gerechnet, aber nichts dergleichen geschah. Im Saal war es mucksmäuschenstill, niemand wagte, etwas zu sagen. Manfred Zöder vergrub währenddessen von allen unbemerkt auf seinem Platz zum zweiten Mal an diesem denkwürdigen Tag das Gesicht in seinen Händen. Den Anwesenden konnte man die innerlichen Gedankengänge ohne große Mühe von ihren Gesichtern ablesen. Alle mündeten schließlich in einer einzigen unangenehmen Vorstellung: Landeshauptstadt Hassfurt. Das würde ja bedeuten, dass die gesamte fränkische Polizei mit einem Hassfurter Nummernschild durch die Gegend fahren müsste, die Blech gewordene Inkarnation verkehrstechnischen
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