Drei Eichen (German Edition)
Besonderheiten auskannte. Genauer gesagt war er sogar genau derjenige, welcher. Auf ihn hörten sie alle, er wurde um Rat gefragt, wenn es Fragen den Wald betreffend gab. Elmar wusste, wo die Plätze mit seltenem Baumbestand lagen, er kannte jeden Einzelnen von ihnen. Elmar Ränkenschuh war ein Rutengänger und Radiästhesist, ein sogenannter Geomant. Ein Meister der Kraftfelder, Erdstrahlen und sonstiger Schwingungen, die man erst erspüren konnte, wenn man entsprechend darauf hingewiesen und geschult worden war. Was ihn besonders auszeichnete, war die genaue Ortskenntnis sämtlicher Heilfelsen, für die diese Wälder in der Szene so berühmt waren. Große und kleine Findlinge oder auch massive Steinskulpturen erhoben sich in teils skurrilen Formen. Jeder Stein hatte eine andere Form, jeder Fels eine andere Wirkung. An einem Platz konnten Gallensteine zertrümmert, an einem anderen Herzfrequenzen harmonisiert werden. Die alten Felsen der Burgruine von Eyrichshof beispielsweise waren bekannt für ihre positive Wirkung bei Funktionsstörungen männlicher Fortpflanzungsorgane. So eine Art Viagra für Strahlungsempfängliche. Ob diese Orte der Kraft jedoch schon zu realen Empfängnissen geführt hatten oder nicht, das entzog sich Elmar Ränkenschuhs Kenntnis, und er wollte es auch gar nicht wissen. Sein Bestreben war es vielmehr, die Kunst des alten keltischen Schamanismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, deshalb hatte er die »Heilfelsen« auch zu seinem Steckenpferd gemacht, und das sehr erfolgreich. An manchen Wochenenden strichen ganze Busladungen Strahlungssuchender durch die Wälder, um sich stundenlang auf oder an den berühmten Heilfelsen der heilenden Wirkung oder sonst wem hinzugeben.
Da der eine oder andere Spirituelle und die eine oder andere Schamanistin den Felsenkontakt mit heruntergelassenen Beinkleidern herzustellen pflegte, um die Schwingungen auch unverfälscht empfangen zu können, war es schon des Öfteren zu unverhofften Zusammenstößen mit kulturell konservativ angelegten Bevölkerungsschichten aus dem Umland gekommen. So war es für eine auf einem Wandertag befindliche Schulklasse durchaus überraschend gewesen, auf die »Staahocker« zu treffen, wie der Volksmund die Spezies inzwischen zu bezeichnen pflegte. Besonders, wenn die Klasse auf eine Steinsitzerin traf, die sich splitterfasernackt und mit allen vieren von sich gestreckt auf einem Findling ausgebreitet hatte. Besonders die männlichen vierzehnjährigen Schüler hatten ihren Spaß gehabt, aufseiten der pädagogischen Aufsichtspersonen war dieser jedoch eher begrenzt gewesen.
Elmar Ränkenschuh wies die Verantwortung für solche Begegnungen der unsittlichen Art allerdings weit von sich. Er hatte nur die Sensibilität entwickelt und geomantische Grundlagen geschaffen, was der Einzelne damit anfing, konnte nicht sein Problem sein. Wenn man sich ihm persönlich anvertraute, bekam man für wenig Geld sogar eine individuelle Führung zu den versteckten Raritäten, die als Findlinge im Wald herumlagen.
Auch heute hatte er sich wieder mit zahlungskräftiger Klientel verabredet. Die Leute waren extra aus Übersee angereist, um seine Heilsteine zu besuchen. Das war schon enorm, Stolz erfüllte seine Brust. Gut, spirituelle Orte waren woanders wahrscheinlich etwas Selbstverständliches, doch hier in Deutschland mussten sich die Leute erst noch an sie gewöhnen. Für viele war das, was Elmar Ränkenschuh hier trieb, einfach nur Teufelszeug.
Er hatte sich mit seinen Gästen auf dem Abzweig vor dem Weg zu den Rückertsteinen verabredet, direkt oberhalb des kleinen Dorfes Gereuth bei Untermerzbach. Er schaute auf seine Uhr. Bis zum Treffen war noch etwas Zeit. Am heutigen Pfingstsonntag war er etwas früher von zu Hause aufgebrochen, um selbst noch kurz den Felsen mit den Gedichten des großen Dichterfürsten Friedrich Rückert genießen zu können.
Er ging die wenigen Meter vom Weg hinauf zu dem bekannten Findling im Wald und strich fast zärtlich mit der rechten Hand über die imposanten Rundungen der uralten Steinformation, die sogar eine von Menschenhand herausgehauene Nische besaß. Angeblich sollte in dem steinernen Exil einmal ein Einsiedler gelebt haben. Er schloss die Augen, verschmolz mit dem Felsen, konzentrierte sich auf die in ihm aufsteigende Energie und vergaß seine Umgebung. Er spürte nur noch die Kühle des Steines, hörte keine Vögel mehr, nicht mehr das Rauschen des Windes, nicht mehr das leise Ächzen der Bäume,
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