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Drei Eichen (German Edition)

Drei Eichen (German Edition)

Titel: Drei Eichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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Unvermögens. Die Anwesenden schwiegen, bis jemand spontan, allein und verloren inmitten des Saales die Selbstbeherrschung verlor. In der fürchterlichen Stille des historischen Momentes waren die schneidenden, leisen Worte eines entschlossenen Delegierten deutlich zu hören. Er sprach aus, was alle im Saal dachten: »Landeshauptstadt Hassfurt? Des ged ned.«
    Elmar Ränkenschuh erlangte langsam das Bewusstsein wieder. Sein Kopf dröhnte, an der Hinterseite seines Schädels hatte sich eine ansehnliche Beule gebildet. Verzweifelt kramte er in seinem Gedächtnis und versuchte herauszufinden, was eigentlich passiert war. Wieso war er hier? Und wo war dieses »Hier« überhaupt? Ächzend erhob er sich von dem feuchten Waldboden. Ein langwieriges Unterfangen, denn ihm war immer noch recht schwindelig. Als er sich endlich wieder in der Senkrechten befand, musste er sich mit beiden Händen an dem Stein abstützen.
    Stein? Endlich ein Begriff, an dem seine noch trägen Synapsen andocken konnten. Vorsichtig trat er einen Schritt zurück, betrachtete den Felsen und erkannte ihn sofort. Der große Schlupfstein im Obermerzbacher Wald. Die gute Nachricht war, dass er wieder wusste, wo er sich befand. Die schlechte war der Umstand, dass er immer noch keine Ahnung hatte, wie er hierhergekommen war und wie er aus diesem Waldstück wieder herausfinden sollte. Der ihn umgebende Wald schien von großer Ausdehnung zu sein, und zu allem Unglück setzte jetzt auch noch die Dämmerung ein. Er hatte bereits Schwierigkeiten, etwaige Wege zu erkennen. Erneut machte er den Versuch, sich an die Zeit vor seiner Ohnmacht zu erinnern, aber er kam immer wieder nur bis zu dem Punkt, an dem er bei dem Felsen oberhalb von Schloss Gereuth gestanden hatte. Dann herrschte in seinem Gedächtnis Dunkelheit.
    Während er sich noch den Hinterkopf rieb, begann er den mannshohen Felsen mit dem großen Loch zu umrunden. In längst vergangenen Zeiten hatte man Kinder durch die Öffnungen solcher Schlupffelsen hindurchgereicht, um die Heilung von Knochenbrüchen aller Art zu stärken, doch das Einzige, was sich gerade bei Elmar Ränkenschuh verstärkte, war die Intensität seiner Kopfschmerzen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht tastete er sich um den Stein herum. Zu blöd, dass er an einem Felsen für Knochenbrüche zu sich gekommen war. Ein Stein für Kopfschmerzen wäre jetzt von Vorteil gewesen, zum Beispiel der schiefe Kieling im Schlosspark von Memmelsdorf bei Bamberg, aber der war unerreichbar für ihn.
    Er hatte den bizarren Felsen fast umrundet, als er in der Dämmerung an einer großen Kiefer, die neben dem Schlupfstein stand, ein Blatt Papier entdeckte. Erstaunt ging er näher, und tatsächlich war an den Stamm auf Kopfhöhe ein weißes DIN - A 4-Blatt Papier geheftet worden, auf dem mit Großbuchstaben etwas geschrieben stand. Elmar Ränkenschuh musste sich anstrengen, das Geschriebene zu entziffern, es war nicht mehr besonders hell.
    »Lauf!«
    Ränkenschuh las die knappe Botschaft zwei Mal, bis der Groschen fiel. Die Kopfschmerzen waren wie weggeblasen, auf einen Schlag war er hellwach. Hektisch drehte er sich um und musterte den düsteren, in der einsetzenden Dunkelheit immer undurchdringlicheren Wald. Erst als der schwarze Pfeil leise sirrend an ihm vorbeiflog und sich mit einem kurzen, trockenen Pock durch den Zettel in das Holz der Kiefer bohrte, erst da kroch ihm die Panik den Rücken hoch, und der Geomant Elmar Ränkenschuh fing an zu laufen, wie er noch nie zuvor in seinem Leben gelaufen war.
    Die Abschlussveranstaltung der Frankenpartei endete einen Tag vor der großen Volksabstimmung so, wie sie begonnen hatte, im Chaos. Mit Mühe und Not hatte man noch die nötige Mehrheit für einen einzigen Beschluss erreicht, sodass der Biber als offizielles Tier in das fränkische Wappen aufgenommen wurde. Dann war es aber auch schon vorbei mit der offiziellen Parteidisziplin gewesen, und die Stimmung hatte sich am Thema Landeshauptstadt aufgeschaukelt. Professor Dr. Georg Habermehl musste mit Hassfurter Personenschutz den Saal verlassen, während der Rest der Delegierten übereinander herfiel. Da konnte Manfred Zöder mit seiner Glocke läuten, wie er wollte, ein disziplinierender Effekt seines Gebimmels war beim besten Willen nicht mehr zu erkennen. Unterfranken gingen auf Oberfranken los, Mittelfranken verdroschen Tauberfranken, und verzweifelte Südthüringer versuchten sich aus den Würgegriffen erboster Aschaffenburger zu befreien. Manfred Zöder

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