Drei Eichen (German Edition)
konnte von seinem Podium aus nur hilflos zuschauen, wie sich die verfassungsgebende Versammlung eines virtuellen fränkischen Parlamentes selbst auflöste. Das Ganze erinnerte ihn fatal an Kabinettssitzungen in Italien oder der Ukraine. Er stöhnte innerlich auf. Und dieses ganze Tohuwabohu wurde genau in diesem Moment von unzähligen Fernsehkameras zu Millionen von eingeschalteten Fernsehgeräten geschickt, natürlich in HD . Manfred Zöder wusste, dass er soeben einem PR -technischen Super- GAU beiwohnte. Apathisch saß er auf seinem Stuhl, den Kopf in die Hände gestützt, und sein politisches Leben zog noch einmal an ihm vorüber. Dann bemächtigte sich seiner ein anderer Gedanke. Wo blieb nur Irrlinger, zum Teufel? Wenn überhaupt, dann konnte nur sein Erscheinen hier noch etwas zum Guten wenden.
Ränkenschuh stolperte durch die Dunkelheit des Merzbacher Waldes, ahnungslos, wo er sich befand. Ganz zu Anfang hatte er gedacht, der Weg würde bergab verlaufen, was bedeuten würde, dass er sich der Zivilisation näherte. Aber dann war der Weg wieder eine Weile angestiegen, bevor es jetzt wieder bergab ging. Er hatte noch keinen klaren Gedanken gefasst. Als der Pfeil direkt neben seinem Kopf in dem Baum einschlug, hatte sich bei ihm ein Schalter umgelegt, und er hatte nur noch an Flucht gedacht. Jetzt schlug ihm das Herz bis zum Hals, seine Lungen pfiffen, und er musste einen Moment stehen bleiben. Das war doch alles vollkommen verrückt. Wer war denn so irre, mitten im Wald und noch dazu nachts mit Pfeil und Bogen Jagd auf ihn zu machen? Elmar Ränkenschuh wünschte sich nichts sehnlicher, als dass alles nur ein unglaublich übler Scherz sein möge. Aber wenn er ehrlich war und auf sein Bauchgefühl hörte, dann wusste er nur zu gut, dass das hier bitterer Ernst war. Und dieser Ernst, so befürchtete er, würde übel für ihn enden. Doch noch war er nicht bereit aufzugeben. Er riss sich zusammen, begann wieder zu laufen, bekam aber schon nach wenigen Metern wieder keine Luft. Elmar Ränkenschuh hatte noch nie Sport getrieben, er war immer schon ein bewegungsscheuer Feingeist gewesen. Sein Körper war auf eine solche Tortur nicht vorbereitet und reagierte schließlich mit Streik. Keuchend verlor der Geomant in einem unkonzentrierten Moment die Orientierung und knallte mit dem Gesicht gegen einen Baum. Ein wilder Schmerz durchzuckte ihn, etwas Warmes tropfte von seinem Gesicht. Als er auf den Knien liegend seine Nase befühlte, stellte er fest, dass diese leicht schräg nach rechts abstand. Das Blut rann ihm den Hals hinunter unter das Hemd, und Elmar Ränkenschuh begann zu zittern. Als es links hinter ihm im Wald knackte, drehte er sich auf seinen Knien um und schrie seine Verzweiflung in die Dunkelheit des Waldes hinaus. »Ihr verdammten Arschlöcher, was soll denn der Scheiß?«
Dann ein weiteres Knacken, diesmal von rechts. Nochmals befühlte er seine Nase. Nur noch einen Moment durchatmen, dann würde er wieder laufen können.
Next Level
Der Anruf von Gerhard Irrlinger erreichte Manfred Zöder, als die Abschlussveranstaltung der Frankenpartei bereits in Auflösung begriffen war. Eigentlich war der Kongress dazu gedacht gewesen, der neuen frischen Unabhängigkeitsidee den finalen Energieschub für die anstehende Abstimmung zu verleihen. Doch der heutige Nachmittag fühlte sich für Manfred Zöder nach allem anderen als nach einem Energieschub an. Wenn denn überhaupt Energieschub, dann in eine völlig verkehrte Richtung nach hinten. Die Medienvertreter waren durch die Bank weg mit hämischen Kommentaren und einem wissenden, mitleidigen Lächeln an ihn herangetreten. Die Interviews würde er wohl in möglichst kurzer Zeit aus seiner Erinnerung löschen müssen.
Auch Irrlingers Anruf diente nicht gerade dazu, seine Stimmung zu heben. Wegen eines Mordfalles auf Hochzeit verhindert, dazu noch das Opfer Josef Simon, der als Finanzminister angedacht gewesen war. Manfred Zöder war geschockt. Josef Simon tot? Von einem Unbekannten mit Pfeil und Bogen ermordet? Was war denn plötzlich los in seiner Welt? Hörten die Katastrophen denn heute gar nicht mehr auf? Sein Verstand weigerte sich, die Botschaft zu verarbeiten, seine Festplatte war voll für den heutigen Tag. Trauer verspürte Zöder schon irgendwie, aber nicht wegen Simon, der war ihm schon immer suspekt gewesen. Der war doch nur hier in Franken aufgelaufen, weil Irrlinger ihn irgendwo als Ministerkandidat ausgegraben hatte. Eher betrauerte er sich selbst. Und
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