Drei Eichen (German Edition)
verfahren. Die Mädels kamen und gingen ganz so wie die Wellen eines Ozeans am lagerfeldschen Strand. Früher hatte er stets mit Sicherheit gewusst, dass die nächste Welle nicht lange auf sich warten lassen würde. Allerdings war er auch nicht selten froh über das Zurückfließen der einen oder anderen Schaumkrone gewesen, denn Lagerfeld hatte nie große Lust auf eine dauerhafte Bindung verspürt. Ab und zu war er gern allein mit sich und seiner kleinen Welt. Mit seinem roten Cabrio, seinem dreirädrigen MP 3-Roller und mit ein oder zwei Zigaretten bei einem Bier mit Blick in den Sonnenuntergang. So hätte es eigentlich bis zum Ende eines völlig entspannten Lebens bleiben können. Und dann war das mit Ute passiert.
Warum und weshalb, das konnte so wirklich niemand sagen. Haderlein vermutete, dass die beiden selbst es am allerwenigsten wussten, was sie so aneinander an- und bisweilen auch auszog. Natürlich konnte man das auf das große Mysterium der Liebe schieben, welches sich an den beiden zeigte, aber so einfach war das Haderleins Ansicht nach nicht.
Ute und Bernd waren wie zwei Planeten, deren Umlaufbahnen – wie die anderer glücklich Liierten auch – eigentlich um die gemeinsame Sonne verlaufen sollten. Nur dass da keine Sonne war, sondern nur ein imaginärer Mittelpunkt, ein gemeinsamer Nenner, von dem niemand wusste, wie groß er war. Immerhin groß genug, sodass sie jetzt schon fast zwei Jahre zusammen waren und sich gegenseitig noch nicht erschlagen hatten. Das System Ute und Bernd war ein äußerst fragiles Konstrukt, ein eigenes Universum, bei dem die Fliehkräfte jederzeit so groß werden konnten, dass einer der Planeten sich, den physikalischen Kräften folgend, auf Nimmerwiedersehen ins Dunkel des Weltalls verabschiedete. Doch jetzt war in dieser Planetenkonstellation ganz plötzlich ein Kind als kleine Sonne aufgetaucht. Nun musste sich erweisen, ob der Wurm Bindemittel oder Sprengstoff des empfindlichen Beziehungsgebildes sein würde.
Schmunzelnd betrachtete Haderlein für eine Weile seinen lieben Bernd, der im Moment nichts Besseres zu tun hatte, als seufzend seinen Krug zu leeren oder in demselben am Boden nach Unregelmäßigkeiten zu forschen. Kopfschüttelnd seufzte jetzt auch Haderlein und gönnte als Übersprungshandlung seiner Riemenschneiderin eine Streicheleinheit zwischen den knallroten Ohren, die vor ihrem Ausflug auf den Keller noch rosa gewesen waren. Ob die Farbänderung von der besseren Laune oder dem erhöhten Alkoholpegel des Schweinchens herrührte, hätte ihm nur Riemenschneider selbst erklären können, doch die war bereits dabei, mit einem seligen Lächeln um den Rüssel herum zu seinen Füßen einzuschlafen.
Wieder stand das Pfingstwochenende bevor, und wieder trafen sie sich. Zuletzt erschien diesmal Joe in einem Mercedes-Transporter. Er stellte das Fahrzeug etwas weiter entfernt ab, sodass die ausladenden Äste der umstehenden Bäume den Wagen einigermaßen verdeckten. Zu der tausendjährigen Küpser Eiche mussten sie noch ein paar Meter den Hang hochsteigen, dafür würden sie dort unter sich sein. Nur die ständigen Regenschauer im Wechsel mit strahlendem Sonnenschein nervten. Man wusste gar nicht, was man anziehen sollte.
Bevor sie sich zur Eiche aufmachten, holte Joe für jeden von ihnen ein Päckchen vom Beifahrersitz des Wagens und überreichte es ihnen. Als er es auspackte, musste er lächeln. Es war ein dicht gewebtes Sweatshirt aus schwarzem Stretchmaterial mit eingenähtem Lederschutz für den Arm. Auf der einen Brustseite war ein kleiner roter Baum zu erkennen und darunter zwei Wörter. Joe war wirklich der Beste. Das alles war wie im Film, nein, dachte er, während sein Grinsen noch breiter wurde, das alles war noch viel besser als im Film, denn es war real. Er hätte sich nie träumen lassen, noch einmal so aufregende Dinge erleben zu dürfen.
Er zog sich das Sweatshirt über, es passte wie angegossen. Dann schlüpfte er wieder in seine Jacke und folgte den anderen zur Eiche hinauf. Heute würden sie etwas länger für ihre Vorbesprechung brauchen, denn heute würde die Jagd zum ersten Mal nicht im Schutz der Dunkelheit stattfinden, sondern bei Tageslicht. Zwar stand ihnen ein eingegrenztes Areal mit kaum Fluchtmöglichkeiten zur Verfügung, aber trotzdem war das eine neue Hausnummer unbekannter Größe. Doch so hatten sie es selbst gewählt, so war ihr eigener Anspruch. Reach the next level.
Kriminalkommissar Cesar Huppendorfer, Sohn eines
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