Drei Eichen (German Edition)
niemand das Camp ein zweites Mal besuchte. Er konnte ihn allerdings gern weiterempfehlen, wenn man das so nennen konnte. Interessierte sich jemand für das Camp, musste dieser den Mittelsmann des Mittelsmannes von der Reinheit seiner Absichten überzeugen und anschließend verdammt viel Geld hinblättern. Dann wurde man noch einmal sehr lange und sehr gründlich überprüft, und schon beim geringsten Verdacht wurde die Buchung gnadenlos gecancelt. Das war fast gleichbedeutend mit Eliminierung, was angeblich auch schon vorgekommen sein sollte. Die spezielle Kundschaft hatte es hier mit einer äußerst vorsichtigen, aber dafür auch äußerst professionellen Firma zu tun. Außerdem hatte man ihm deutlich gemacht, dass er sich in der Zukunft Verweise jeglicher Art auf seinen Aufenthalt hier nicht vertrauenswürdigen Personen gegenüber verkneifen sollte. Wenn er den Mund auch nur einen Zentimeter zu weit aufmachte, würde »Code Red« in Kraft gesetzt werden – die sofortige Auslöschung seiner Existenz. Niemals durfte das Auge des Gesetzes auf das Camp gelenkt werden.
»Dann wollen wir mal, Joe«, unterbrach Magnus seine Gedanken.
Er packte den Rucksack und seinen schmalen Koffer und schritt langsam die Stufen zu dem Jeep hinunter, an dem Magnus lässig lehnte und auf ihn wartete. Wie schon die Tage zuvor trug er Bluejeans und ein olivgrünes T-Shirt, unter dem man die trainierten Muskeln erkennen konnte. Noch immer war er auf den ersten Blick unbewaffnet, aber in der Hand hielt er dieses schwarze Etui, das Joe zusammenzucken ließ. Er wusste, was jetzt kommen würde, er hatte es bei der Intensität der Tage nur vergessen.
Magnus schaute ihn schweigend an, wartete. Joe riss sich zusammen und warf das Gepäck in den Laderaum des Jeeps, dann stieg er zügig und mit einem leichten Frösteln auf der Beifahrerseite ein. Magnus setzte sich hinter das Lenkrad, während Joe sich den linken Hemdsärmel hochkrempelte und Magnus den Arm hinüberstreckte. Kurze Zeit später spürte er den Stich der Nadel und ihr langsames Hineingleiten in seine Vene. Er würde nun gleich das Bewusstsein verlieren und nichts von der Fahrt durch den Nationalpark der Smoky Mountains mitbekommen. Wenn er am Flughafen im Jeep aufwachen würde, würde Magnus verschwunden sein. In seiner Hosentasche würde er dann einen kleinen Schlüssel finden, der zu einem Schließfach des Flughafens in Knoxville passte. Darin würden sein Handy, die Reisepapiere und die Kreditkarte liegen, sodass er über Atlanta heimfliegen könnte. Irgendwann würde irgendwer den Jeep dann wieder abholen, und das war’s dann.
Eigentlich kein Grund für irgendein ungutes Gefühl. So waren die Regeln in diesem Geschäft, sie hatten alles vorher abgesprochen. Trotzdem bewegte er sich ab jetzt in gesetzlosen Gefilden, niemand konnte ihm garantieren, dass er überhaupt wieder aufwachen würde. Doch das war der einzige Weg, um von hier wieder fortzukommen. Er hätte keine andere Wahl gehabt. Magnus zog die Spritze wieder aus der Vene und verpackte sie routiniert in dem schwarzen Etui. Während Joe den Ärmel wortlos zurückkrempelte, stopfte sich Magnus seine Bruyère. Joe wurden die Lieder immer schwerer, und bald schon war er wie geplant weggetreten.
»Gute Heimreise, Joe«, sagte Magnus laut, während er den Motor startete. Er würde bis Gatlinburg eine gute Stunde brauchen, wenn nicht wieder Bäume den Waldweg versperrten. Nachdem die verdunkelten Scheiben des Jeeps nach oben geglitten waren, fuhr er los.
Haderlein ließ sich in seinen Stuhl im Büro fallen. Das Verhör war so gelaufen wie erwartet. Es hatte nur das bestätigt, was er sowieso schon gewusst hatte. Im Treppenhaus hatte er sich noch kurz mit Fidibus unterhalten, und der ausgebildete Jurist war der gleichen Meinung wie er gewesen. Sie würden Fiesder drankriegen, aber sicher nicht wegen Mordes oder gar mehreren. Es hatte sich nichts Neues ergeben, was auf einen Zusammenhang zwischen den Toten auf den Eierbergen und dem erschossenen Simon auf dem Staffelberg hingedeutet hätte. Haderlein kam immer mehr zu der Überzeugung, dass der Pfeil in der einen Leiche am Windrad nur ein dummer Zufall war. Auch mit den anderen Leichen konnte er im Moment noch nichts anfangen, da Siebenstädter sich noch nicht dazu geäußert hatte. Und die Grabbeigaben? Ein Jagdgewehr, eine Vespa, alles Indizien ohne Bezug zueinander. Irgendeine Idee, eine Eingebung, das war es, was Haderlein gerade verzweifelt vermisste.
Der Hauptkommissar
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