Drei Eichen (German Edition)
saß auf seinem Stuhl, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Irgendetwas schien sich in seinem Hinterkopf verfangen zu haben, ein Gedanke zog den nächsten nach sich. Und ganz plötzlich wusste der Kriminalhauptkommissar auch wieder, was ihm seit gestern ungreifbar im Kopf herumgeschwirrt war.
Vermisste.
Damals, in den Neunzigern, da war doch was mit einer Vermissten und einer grünen Vespa gewesen. Vage konnte er sich noch daran erinnern. Seine Erkenntnis würde eine ziemliche Sucherei im Archiv nach sich ziehen, denn ein genaues Datum hatte er natürlich nicht im Kopf. Obwohl die Akten zum Glück in digitalisierter Form vorliegen mussten, würde es dauern.
Doch dann kam ihm eine andere Idee. In der bundesweiten Datei VERMI / UTOT wurden vermisste und unbekannt tot aufgefundene Personen in Deutschland gespeichert. Ein Sammelsurium von toten Menschen, Personenbeschreibungen, Zeugenaussagen und Zeichnungen, angelegt vom Bundeskriminalamt. Seine Vespafahrerin dort zu finden würde eine ebensolche Puzzlearbeit bedeuten, immerhin waren in der Datei über eintausendfünfhundert Personen gespeichert. Haderlein grinste. Zum Glück gab es da jemanden in der Dienststelle, der für solche kleinkarierten Aufgaben geradezu prädestiniert war.
»Honeypenny!«, rief er zu Marina Hoffmann hinüber. »Honeypenny, möchtest du einmal richtige Polizeiarbeit machen?«, schmeichelte er in ihre Richtung, woraufhin sich das Gesicht von Marina Hoffmann sofort erhellte. Richtige Polizeiarbeit?
»Na klar«, gab sie begeistert zurück.
Lagerfeld und Huppendorfer wurden am Eingang der Erlanger Gerichtsmedizin von einem hübschen Wesen der blonden Art in Empfang genommen. Der Umstand hob ihre Stimmung sichtlich, waren sie doch auf Siebenstädters griesgrämiges Gesicht gefasst gewesen. Ganz schnell war klar, dass sie nichts Besseres zu tun hatten, als Evelyn Breuer, Studentin der medizinischen Fakultät, auf den wenigen Metern bis zum Seziersaal plump anzugraben. Da diese solche Methoden der männlichen Gockelei jedoch schon des Öfteren erlebt hatte, fiel der Samen der polizeilichen Anbandelung auf keinen fruchtbaren, sondern stattdessen auf knallharten Betonboden. Trotzdem waren die beiden jungen Beamten jetzt sehr viel vergnügter als noch zuvor. Sie folgten dem entzückenden Rücken bis in die geheiligten Hallen des Gebäudes, wo ihre Stimmung gleich wieder einige Punkte auf der nach unten offenen Siebenstädter-Beliebtheitsskala absackte.
Evelyn Breuer entfernte sich dezent, und Lagerfeld und Huppendorfer erblickten den Professor, wie er über den Schädel eines der aufgebahrten Skelette gebeugt stand und mit einem kleinen, spitzen Werkzeug daran herumhantierte. Der Umstand allein verursachte ihnen noch keine seltsamen Gefühle, eher schon der üppige Kopfschmuck aus bunten Indianerfedern, den der Leiter der Erlanger Rechtsmedizin auf seinem Kopf trug. Als sie näher traten, bemerkten sie außerdem noch ein Winnetou-Plakat an der ansonsten kahlen Wand des Sezierraumes. Pierre Brice lächelte sie in DIN - A 1-Größe von seinem Pferd herunter an.
»Ich fand Indianer sowieso schon immer besser als Cowboys«, äußerte sich Siebenstädter nun, während er sich weiterhin mit seiner anscheinend diffizilen Arbeit am Skelett abmühte. Ansonsten beachtete er die beiden Kommissare nicht.
»Äh, bitte? Ich verstehe nicht?« Huppendorfer betrachtete noch immer das Plakat, während Lagerfeld interessiert die Skelette auf den anderen vier Tischen beäugte, die dort säuberlich sortiert ausgebreitet lagen. Das waren also die Ergebnisse der Grabungen, von denen ihm Huppendorfer auf der Fahrt hierher erzählt hatte. Den Leichnam ganz hinten auf dem fünften Tisch kannte er ja schon. Es war der Bräutigam vom Staffelberg, der nun auf dem Rücken lag. Siebenstädter hatte ihm den Pfeil anscheinend schon entfernt.
»Na, Sie wissen schon«, erklärte Siebenstädter, »an Fasching haben wir uns als Kinder doch immer entweder als Cowboys oder Indianer verkleidet und dann Krieg gegeneinander geführt. Wir Indianer haben meistens gewonnen. Und das, obwohl wir nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren. Ich glaube, wir haben schon damals unsere moralische Überlegenheit erkannt. Und was ist das Bogenschießen nicht für eine hohe Kunst im Vergleich zum schnöden Abfeuern einer Schusswaffe, finden Sie nicht auch?«
Jetzt erst blickte Siebenstädter kurz auf, um die beiden Ankömmlinge zu mustern, bevor er sich wieder seinem Schädel zuwandte. Mit seinen
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