Drei Engel für Armand
Danielle. »Sie wird dir nichts tun.« Leise Schuldgefühle meldeten sich, als sie an die letzte Ratte dachte, die ihr zu Hilfe gekommen war. Aber wie die anderen schien auch diese Ratte ihr zu vertrauen. Die Augen des Nagers verfolgten jede Bewegung Talias, als diese die Schnur um seine Brust schlang und zu einem primitiven Geschirr zusammenband; er machte jedoch keine Anstalten, sie an ihrem Tun zu hindern. Talia band sich ein zweites Stück Schnur um die eigene Taille.
»Keine Bange!« Talia bückte sich, nahm das Geschirr in beide Hände und presste sich flach gegen den Rücken der Ratte. »Der einzige wirkliche Grund zur Sorge sind Flöhe. Bei deiner momentanen Größe könnten sie einen hübschen Batzen aus dir rausbeißen.«
Bevor Danielle darauf etwas erwidern konnte, kletterten Talia und ihre Ratte schon am Stützbalken hoch. Danielle wartete in der Dunkelheit und lauschte dem scharrenden Geräusch von Krallen auf Holz. Die Ratte bewegte sich stockend; sie zog sich und Talia nach oben, dann hielt sie an und witterte, bevor sie ihren Weg fortsetzte.
»Geschafft!«, rief Talia schließlich. »Ich bin aus dem Geschirr raus, bring sie wieder runter!«
Danielle nickte und rief die Ratte zu sich. Ihr Abstieg verlief weit weniger elegant. Sie kletterte mit dem Kopf voran, eine Vorderpfote auf dem rauen Fels fürs Gleichgewicht, und ihre Hinterpfoten schienen ständig kurz davor, einen Salto über ihren Kopf zu schlagen. Als sie halb unten war, rutschte ihr eine Pfote weg, sie fiel durch die Luft und schlug neben Danielle auf dem Boden auf.
Danielle kniete sich hin, um nach ihr zu sehen. »Bist du in Ordnung?«
Die Ratte gab ein kurzes Quieken von sich und fing an, sich die Schnurrhaare zu putzen. Sie schien unverletzt, wenn auch ein bisschen staubig.
»Halt still!«, sagte Danielle und kletterte auf ihren Rücken. Sie zog die zusätzliche Schlinge über ihre Taille, wie Talia es getan hatte, und ergriff dann das Geschirr unterhalb der Schultern. Der Rücken der Ratte drückte unangenehm gegen die Wölbung ihres Bauches. »Ich bin so weit. Bring mich zu Talia!«
Eine Ratte zu reiten war ganz anders, als einen Aviar zu reiten. Talias behelfsmäßiges Geschirr hielt sie sicher auf dem Rattenrücken fest, was eine Verbesserung gegenüber den geflügelten Pferden darstellte. Aber bei Wind hatte Danielle nie die Befürchtung gehabt, dass ihr Reittier plötzlich den Halt am Himmel verlieren könnte; die Ratte hingegen war schon einmal abgestürzt. Danielle hielt sich so ruhig, wie sie konnte.
Der schlimmste Moment war, als ein Tausendfüßler von der Größe ihres Beins auf einen der enormen Bolzen krabbelte, mit denen der Balken am Fels befestigt war. Zum Glück stieß die Ratte ein langes, gebrochenes Quieksen aus, und der Tausendfüßler gab klein bei. Zauberschwert oder nicht, Danielle hatte keine Lust, auf einem Rattenrücken reitend gegen riesige Krabbeltiere zu kämpfen.
»Reich mir die Hand!«, forderte Talia sie auf.
Danielle langte hinauf, und Talia half ihr und der Ratte auf einen waagrechten Balken hoch. Talia hatte eine Glasflasche herausgenommen, die sie kräftig schüttelte. Das Wasser darin hellte sich auf, bis es mit demselben blauen Licht leuchtete, das Danielle im Teich gesehen hatte.
»Praktisches Zeug«, sagte Talia. Sie reichte die Flasche Danielle und machte sich daran, ihre Peitsche von der Ratte loszubinden. »Je mehr man es aufwühlt, desto heller wird es. Trinken würde ich es allerdings lieber nicht.«
Wie die Wände war auch der Raum zwischen der Holzdecke und dem Fels darüber voller Spinnweben und Schmutz und toter Insekten. Dicke Bohlen waren auf die Balken darunter genagelt. Getrockneter Gips quoll zwischen den Ritzen hervor, wie schaumgekrönte Wellen, gefroren im Winter.
Danielle sprang auf eine der Bohlen; die Decke trug ihr Gewicht ohne Probleme. »Zum Gemeinschaftsraum geht es hier entlang.«
Sie marschierten schweigend; ab und zu schüttelte Danielle die Flasche, um das Licht zu erneuern. Ihre Kleider waren schon schweißfeucht, dank der warmen, muffigen Luft. Das Extragewicht der Schwangerschaft war auch nicht gerade hilfreich. So ein winziges Wesen, und doch tat ihr das Kreuz schon weh.
Sie behielt beim Gehen eine Hand am Schwert. Es war unmöglich, die Entfernung abzuschätzen, geschrumpft, wie sie waren und ohne Orientierungspunkte. Wie weit mussten sie gehen?
Sie drehte sich zu der Ratte um und flüsterte: »Bring uns zum Gemeinschaftsraum!«
Die Ratte piepste
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