Drei Engel für Armand
bis auf die Stelle an ihren Füßen, wo sie verschmolzen.
Schnee zeigte auf die tieferstehende der beiden Sonnen, die bereits den Horizont berührte. »Die Sonne der Königin geht immer vor der des Königs unter. Sie ist die Herrscherin des Morgens, doch wenn der Abend naht, dominiert die Sonne des Königs.«
»Elfen!«, brummte Talia kopfschüttelnd.
Danielle hatte ihr eine der Taschen abgenommen, als sie das Goblinlager verlassen hatten. Sie setzte sie auf der Straße ab und studierte den Himmel. »Wie können da zwei Sonnen sein? Wie haben doch nichts weiter getan, als durch die Hecke zu gehen!«
»Der König und die Königin kommen nicht gut miteinander aus«, erklärte Schnee. »Elfenadlige neigen dazu, leidenschaftlich, eifersüchtig, kleinlich und leicht irre zu sein. Darüber hinaus sind sie enorm mächtig. Vor Jahrhunderten verglich ein Dichter die Macht des Königs mit der blendenden Sonne und die Schönheit der Königin mit dem Mond. Die Elfen begannen über die Sonne des Königs und den Mond der Königin zu reden. Natürlich wollten beide, was der andere hatte. Die Illusion ist eine gewaltige Verschwendung von Magie, wenn ihr mich fragt, aber sie hat immerhin dafür gesorgt, dass die beiden friedlich blieben.«
»So friedlich, wie Elfen nun mal sein können«, ergänzte Talia.
»Warte nur, bis du erst die Monde aufgehen siehst!«, meinte Schnee. »Der Mond der Königin ist silbern, der des Königs hingegen golden. Hast du jemals unseren Mond in einer bewölkten Nacht gesehen, wenn das Licht einen Hof bildet? Hier, wenn die Monde sich nah genug sind, schneiden sich die Höfe und bilden einen dunklen Regenbogen. Ich habe Bilder davon in einem meiner Bücher.«
»Wenn sie sich nahe genug sind?«, wiederholte Danielle. »Sie bewegen sich?«
»Zu jeder Sommer- und jeder Wintersonnenwende nähern sie sich einander an. In diesen beiden Nächten gehen die Halbmonde zusammen auf und bilden einen einzigen Kreis am Himmel. Das soll eine Zeit großen Feierns und Unfugs sein.«
»Falls wir noch hier sind, wenn die Sonnwendfeiern anfangen«, unterbrach Talia sie, »werde ich mich in den Abgrund stürzen!«
Das Land jenseits des Goblinlagers war genauso fremdartig wie der Himmel. Obstbäume jeder Art säumten die Straße. Manche, wie Apfel- oder Birnbäume, waren vertraut; andere hatte Danielle noch nie zuvor gesehen. Gelbgrüne Kugeln von der Größe ihrer Faust, winzige schwarze Beeren, die in dicken, glänzenden Trauben wuchsen, Melonen, so groß, dass die Äste sich unter ihrem Gewicht bogen.
Die Luft war schwanger vom übersüßen Geruch nach verdorbenen Früchten.
»Die Goblins hatten einmal einen florierenden Markt«, erzählte Schnee. »Sie verkauften Obst an vorüberkommende Menschen, damals, vor dem Vertrag. Dieser Tage, wo so wenig Leute nach Elfstadt hineinkommen, machen sie nur noch richtig schlechten Wein.«
Ein lautes Krachen vom Straßenrand ließ Danielle zusammenfahren: Einer der Bäume kippte auf die Straße zu. Bevor Danielle sich rühren konnte, packte Talia sie am Handgelenk und zerrte sie mit einem Ruck zurück. Sie landeten hart auf der Straße, während der Baum herunterdonnerte …
… und verschwand. Von einer mit zitternden schwarzen Wildblumen bestandenen Stelle kamen hohe Jubelrufe und ausgelassenes Kichern.
»Heinzelmännchen«, meinte Schnee, der der Illusionsbaum nicht die geringste Reaktion entlockt hatte. Sie deutete auf einen winzigen menschenähnlichen Schatten, der durch die Obstbäume huschte. »Schelmische kleine Dinger, aber sie werden uns nichts tun. Die Straße durch Elfstadt ist geschützt. Niemand kann einen verletzen, solange man sie nicht verlässt.«
»Ich habe das gewusst«, murmelte Talia. Sie half Danielle auf die Füße.
Eine Zeit lang setzten sie ihren Weg schweigend fort. Danielle hatte das Gefühl, bergabzugehen, doch jedes Mal, wenn sie hinter sich blickte, war die Straße so eben wie das Meer an einem windstillen Tag. Vielleicht war es ja die Straße selbst, die sie vorwärtsdrängte.
»Also, wo gehen wir nun eigentlich hin?«, fragte sie schließlich.
»Schnee hat eine Kontaktperson in Elfstadt«, antwortete Talia. »Irgendein Gnom, der mit der Elfenkönigin auf vertrautem Fuß steht. Sie meint, er müsste einflussreich genug sein, um deinen Stiefschwestern den Prinzen zu entreißen.«
»Sein Name ist Arlorran«, ergänzte Schnee. »Er ist der Beschwörer der Königin. Arlorran hat mir einmal gesagt, dass er viel Zeit mit den Goblins
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