Drei Engel für Armand
weitere werden auf die Bäume klettern und Ausschau nach den Stiefschwestern halten. Auch wenn ich nicht selbst die Höhle finden kann, werden wir trotzdem Charlotte und Stacia hinunterfolgen können, wenn sie kommen.«
Bald war nur noch ein einziger Spiegel übrig. Schnee behielt ihn und legte ihr Halsband wieder an. Das Licht war entsprechend schwächer, aber Danielles Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt.
»Was machen wir bis dahin?«, fragte sie.
»Wir essen etwas, und dann schlafen wir«, antwortete Talia. »Vielmehr du schläfst.« Sie ging fort und fing an, die Aviare den Korridor hinunterzuführen.
»Was ist das hier für ein Ort?« Danielle streckte die Hand aus und berührte die rauen Blätter.
»Das Labyrinth der Königin. Es umgibt ihren Palast. Es gefällt ihr, Störenfriede zu blenden und im Irrgarten auszusetzen. Sie wartet kurze Zeit, und dann schickt sie ihnen die Wölfe hinterher. Jeder, der überlebt, erhält die Freiheit.«
Danielle schluckte und wich vom Rand zurück. Sie konnte sich gut einen hilflosen Gefangenen vorstellen, der vor dem Heulen hungriger Wölfe floh, nur um durch diesen dünnen Vorhang zu stolpern und in den Abgrund zu stürzen.
Schnee rümpfte die Nase. »Komm mit!«, sagte sie und zog Danielle zu ihren Taschen hin. »Ich weiß ja nicht, wie es bei dir aussieht, aber ich könnte einen Kleiderwechsel vertragen!«
Weiter vorn schnaubte Talia beim Abreiben der Aviare verächtlich. »Schnee übertreibt es immer mit dem Packen. Sie könnte wahrscheinlich jedes einzelne Mitglied des Hofes der Elfenkönigin ankleiden und hätte immer noch genug Kleider für eine Woche!«
»Ich bin eben gern vorbereitet, das ist alles!«, erwiderte Schnee.
Talia ließ ihre Bürste fallen, ging zurück und nahm etwas Blaues und Seidiges aus einer der Taschen. »Vorbereitet worauf? Glaubst du, sie halten Armand auf einem Kostümball gefangen?«
Schnee schnappte sich das blaue Kleidungsstück und streckte Talia die Zunge heraus. Sie wühlte sich durch die Taschen und warf Danielle ein frisches Hemd und eine ebensolche Hose zu, zusammen mit sauberer Unterwäsche. Der Schlüpfer bestand aus mehr Spitze, als ihr lieb war, und das Hemd hatte mit Rüschen besetzte Bänder am Hals, aber immerhin waren die Sachen sauber und trocken. An Danielle saßen die Kleider eng an der Taille und lose an der Brust, aber sie würden es tun.
Schnee warf einen Blick auf Talia, die wieder zurückgegangen war und die Aviare bürstete. Sie zog Danielle weg und sagte mit gesenkter Stimme: »Ich habe noch ein Unterhemd, das aus nichts als Spitze besteht – falls du es dir leihen willst, wenn wir Armand retten. Männer mögen solche Sachen.«
Danielles Wangen wurden warm.
»Erzähl doch mal, wie war es, als ihr zwei euch zum ersten Mal begegnet seid?« Schnee nahm einen mit Schildpatt eingelegten Kamm und fing an, dem Gewirr auf ihrem Kopf zu Leibe zu rücken.
»Eigenartig«, gab Danielle zu. Sie setzte sich hin und streckte die Beine aus, musste sich dabei aber auf die Lippen beißen, um nicht aufzuschreien. Als sie sich am ersten Abend fortgestohlen hatte, um auf den Ball zu gehen, hätte sich Danielle nie träumen lassen, die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich zu lenken. Dem Zuhause ihrer Stiefmutter zu entkommen, sich in Musik und Tanz und dem schieren, verdorbenen Luxus des Balls zu verlieren, das war alles, was sie gewollt hatte. »Zuerst habe ich ihn gar nicht erkannt. Er schien so jung zu sein. Ich dachte, er sei irgendjemandes Sohn, ein niedriger Adliger vielleicht.« Erst als sie sah, wie alle zurückwichen, um ihnen Platz zu machen, war ihr aufgegangen, wer ihr Tanzpartner sein musste.
»Ich bin ihm auf die Füße getreten«, gestand sie. »Glaspantoffel sind nicht zum Tanzen gedacht.«
Schnee kicherte und reichte den Kamm Danielle, die seufzte. Schnee sah wieder absolut perfekt aus. Die verschwitzten Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht hingen, machten sie nur noch attraktiver. Danielle fuhr sich mit der Hand durchs eigene Haar: Sie könnte von Glück sagen, wenn sie sich beim Versuch, diesen Filz zu entwirren, nicht die Hälfte ausriss.
»Ich denke, mein Roland muss so alt gewesen sein, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe«, erinnerte sich Schnee. »So alt und so haarig. Seine Haare waren so dicht wie die eines Schäferhunds und ganz schwarz, abgesehen von ein paar grauen Strähnen. Und wie diese wenigen grauen Haare ihn immer ärgerten! Er zupfte sich alle aus, die er entdeckte,
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