Drei Frauen im R4
aus den Löchern bunte Blumen wurden.
Die Dame stellte sich mir als Margret vor. Sie fragte, warum ich so rumliefe und was mich nach Luzern verschlagen habe. »Ach«, staunte sie zu Fuchur hin, »so einen R4 hab ich auch einmal besessen. Später fuhr ich dann einen Käfer.«
Ja, einen Käfer hatte auch ich einmal gefahren, mit metallicblauer Farbe, der Knut geheißen hatte. Aber das wollte Margret, wie sie sich vorstellte, alles gar nicht wissen.
»Wissen Sie«, sagte sie, »das imponiert mir, dass Sie so reisen. Ich hätte dazu nicht den Mut. Man träumt sich immer wieder zurück in die Jugend, aber sie noch mal erleben, das will doch keiner. Obwohl Ihr Outfit natürlich total modisch ist.« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf meinen lilafarbenen Button mit Frauenzeichen und Faust. »Das ist doch superretro. Na, und dann das Palästinensertuch! Das passt besonders gut zum Sticker!« Margret lachte laut.
Das wäre wohl der Zeitpunkt gewesen, um zu gehen, aber ich wusste nicht, wohin. Margret lud mich zu einem Kaffee ein und bot mir ihr Handy an, falls ich meinen Freundinnen schnell Bescheid geben müsste.
»Nehmen Sie ruhig, ich hab ’ne Flat.«
Ich hab ’ne Flat! Ich hab ’ne Flat! Wie liebte ich diesen kurzen Satz. Es klang nach Freiheit und allen Telefonnetzen, die es gibt. Dass ich auf einem 80er-Jahre-Trip war, hatte Margret fix kapiert, und sie wollte mehr und Genaueres davon hören. Sie erzählte, dass sie Journalistin sei und dass es doch toll sei, von Frauen, wie ich eine war, zu berichten. Sie deutete mit dem Telefon auf ein Café. Und sie roch so gut! Sie roch nach dem Parfum, das ich zu Hause benutzte, und ich sehnte mich danach, nach dieser kleinen grünen Flasche, auf der Chanel und No. 19 stand. Es zog und es sehnte mich, weil Margret ganz nah an meinem Leben von zu Hause war und ich jetzt hier wie ein kleines Flüchtlingskind stand, das den Schritt ins alte Leben nicht mehr wagte.
»Es wäre doch toll«, schwärmte Margret, »wenn ich eine Reportage, eine Art Zelt-Homestory, über Sie und Ihre Freundinnen machen könnte. Drei Frauen im R4 oder so.« Margret schnatterte auf mich ein, und ihr pinkfarbener Schirm tanzte heiter im Luzerner Regendunst. In Gedanken schrieb sie bereits den Artikel. Der Kaffee, auf den ich mich gefreut hatte, war bereits weit weg. » Züri brännt – haben Sie von der Schweizer Jugendrevolte damals überhaupt was mitbekommen?«
Freilich hatten wir das, wir lebten ja nicht auf dem Mond. Studenten, die durch das Land trampten, hatten uns von den beschmierten Häuserwänden, der Schließung des Jugendzentrums und den Krawallen am Küchentisch erzählt.
»›Macht aus dem Staat Gurkensalat‹ oder ›Freier Blick aufs Mittelmeer – sprengt die Alpen‹. Das gehörte doch auch in diese Besetzerszene«, erinnerte ich mich. Neidisch erinnerte ich mich an diese Tage, an denen noch wirklich was los gewesen war.
»Ja«, rief Margret begeistert. »Und so Schmuck, wie Sie tragen, den trugen wir auch.« Sie bewunderte meine Halskette. »Das waren Zeiten. Ich rufe gleich mal den Fotografen an und frage ihn, ob wir heute noch Fotos machen können für die Reportage. Das wäre doch toll, und danach laden wir sie alle ein, und wir gehen köstlich essen. Auf welchem Campingplatz zelten Sie denn eigentlich?«
Die Verführung war leibhaftig. Ich sah mich schon in dem schnieken Restaurant Schnitzel mit Gemüse essen, und als Nachtisch gab es in meiner Phantasie Rüblikuchen und Schümli-Kaffee. Wie ein Fisch stand ich im Regen herum, mein Mund klappte auf und zu, mal blubberte ein gehauchtes »Ja« und mal ein gezischtes »Nein« heraus. Ich wusste, ich war gerade einen Schritt vom Selbstverständlichen entfernt, einem Leben, in dem es Stühle gab, feines Porzellan und silbernes Besteck. Wie ich das inzwischen hasste, dass wir nur auf der Erde oder im Auto saßen, weil wir 1981 ohne Campingtisch und Stühle gereist waren. Zwar konnte ich mich dank der Übung seit wenigen Tagen wieder gelenkiger aus der Hocke erheben, aber so ein Stuhl, ein Tisch und feines Porzellan zogen mich an wie ein Magnet.
»Ich möchte das nicht.« Ich erschrak selbst über meinen barschen Ton. »Vielen Dank, aber ich möchte nicht Teil einer Story sein!«
Eine Geschichte in einem bunten Blättchen, nein. Ich war mir sicher, die konnte sich nur über uns und unsere gemeinsame Reise lustig machen, und uns damit verraten.
»Es ist nämlich eine ganz besondere Erfahrung, die ich hier mache«, erklärte ich
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